Schwarz-Gelb will mit der Atomwende ernstmachen

Berlin (dpa) - Schneller raus aus der Atomkraft - für Schwarz-Gelb vor einiger Zeit undenkbar. Jetzt drücken die Parteispitzen aufs Tempo. Dabei geht es um Sicherheit, aber auch um eine Neuausrichtung von Union und FDP.

Die erst vor knapp einem halben Jahr verlängerten Atom-Laufzeiten sind ein Auslaufmodell. Drei Tage nach dem Ende für Schwarz-Gelb in Baden-Württemberg scheint sich die Führungscrew von Union und FDP in Berlin einig zu sein: Der Atomausstieg soll schneller kommen als noch im sogenannten Herbst der Entscheidungen beschlossen. Völlig einig sieht CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe die Koalitionsspitzen in dem Ziel. So weit, so gut - doch die Details sind völlig offen. Lässt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die acht vorläufig abgeschalteten Atomkraftwerke Mitte Juni wieder ans Netz?

Die überraschende Forderung von FDP-Generalsekretär Christian Lindner nach einer dauerhaften Abschaltung der Meiler wird von der Union nicht ausdrücklich zurückgewiesen. Merkel hält sich bedeckt mit einer Reaktion, weil die Prüfzeit für die deutschen Atomkraftwerke als Folge des Atomunglücks in Japan noch bis Mitte Juni läuft. Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans bringt es am Mittwoch knapp auf den Punkt: „Der Fahrplan steht, aber die Debatte läuft.“

Der Vorstoß des FDP-Generalsekretärs ist offensichtlich kein Alleingang. Aus seiner eigenen Partei erhält Lindner zunehmend Rückenwind. Auch immer mehr CDU-Leute dringen auf einen schnelleren Atomausstieg. Dabei geht es in erster Linie um Sicherheit. Dahinter steht aber auch die Frage, wie Union und FDP auf die Misserfolge bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz reagieren. Sie wissen, dass sie umsteuern müssen, und blicken auch schon auf die nächste Bundestagswahl 2013.

Der Geschäftsführer der Union im Bundestag, Peter Altmaier (CDU), spricht sich für mehr Öko-Politik ein. „Für uns muss entscheidend sein, dass wir den Grünen die Auseinandersetzung mit ökologischen Fragen nicht überlassen.“ Dafür wirbt auch Umweltminister Norbert Röttgen (CDU). Parteichefin Merkel hat die Tür für schwarz-grüne Bündnisse nach der heftigen Kritik an den Grünen in den vergangenen Monaten wieder ein wenig aufgestoßen, zumindest für die Länderebene.

Für die FDP wären eine „grüne“ Wende und die schnellere Absage an die Kernkraft ein wohl noch größerer Schritt als für CDU und CSU. Die Partei von Guido Westerwelle steckt nach Ansicht von FDP-„Urgestein“ Gerhart Baum in einer Existenzkrise. Und sie steht vor der Neuwahl des Vorstands im Mai. Deshalb erscheinen manche Positionen möglich, die vor Monaten als Utopie galten mochten. Der FDP-Umweltpolitiker Michael Kauch sieht die Atomwende als Konsequenz aus den schlechten Wahlergebnissen seiner Partei in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. „Man kann die Kernkraft nicht dauerhaft gegen eine deutliche Mehrheit der Bürger aufrecht erhalten.“

Wie Merkel hält sich auch Westerwelle mit einer Reaktion zu Lindners Vorstoß zurück. Denn nicht alle in der Koalition finden einen schnelleren Atomausstieg gut. Schon meldet FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle Bedenken an. Kritiker des Öko-Kurses in der FDP warnen gar vor einem „Todesurteil“, wenn die Parteilinie nach links verschoben wird. Auch der Unions-Wirtschaftsflügel befürchtet einen überstürzten Atomausstieg.

Die Grünen, die mit ihrem konsequenten Anti-Atom-Kurs die größten Erfolge bei den beiden Landtagswahlen einfuhren, frohlocken. Parteichefin Claudia Roth sieht die FDP in der Atompolitik „kopflos zwischen Kehrtwende und Zickzackkurs“.