S&P-Experte: Euro-Austritt Athens wahrscheinlicher geworden
Frankfurt/Main (dpa) - Der Ratingriese Standard & Poor's (S&P) hält die Risiken eines möglichen Austritts Griechenlands aus dem Euroraum für beherrschbar.
„Ein Grexit ist in den vergangenen Monaten wahrscheinlicher geworden“, sagte der S&P-Chefanalyst für die Bewertung der Kreditwürdigkeit von Staaten, Moritz Kraemer, am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt.
Mit einem Überschwappen der Krise auf andere Eurostaaten rechnen die Bonitätsprüfer nicht: „Eine Dominoentwicklung ist nicht zu erwarten“, sagte Kraemer. „Die Behauptung, die griechische Krise sei notwendigerweise eine Krise ganz Europas, trifft nicht zu“, betonte der Experte für Länderbewertungen.
„Selbst wenn es zum Grexit käme, wäre das für den Rest der Eurozone qualitativ wie quantitativ zu schultern. Allerdings wäre damit die Unumkehrbarkeit der Mitgliedschaft in der Eurozone widerlegt.“ Länder wie Portugal und Spanien hätten sich wirtschaftlich erholt, zudem habe die Eurozone insgesamt mit dem Eurorettungsfonds ESM und den Kaufprogrammen der Europäischen Zentralbank (EZB) „viel größere Verteidigungsmechanismen als 2011/2012“, bilanzierte Kraemer.
Das aktuelle Hilfsprogramm für Griechenland läuft am 30. Juni aus. Wird bis dahin keine Einigung über die Auszahlung von 7,2 Milliarden Euro Hilfsgeldern erzielt, droht die Staatspleite. Nach Kraemers Einschätzung muss der Sondergipfel der Staats- und Regierungschef der Eurozone am Montagabend in Brüssel den Durchbruch bringen: „Denn die verbleibende Zeit bis zum Monatsende wird gebraucht, um eine Vereinbarung auch noch durch die Parlamente zu bringen, damit die 7,2 Milliarden tatsächlich bis zum 30. Juni ausgezahlt werden können.“
Kraemer warnte: „Die ganz harte Deadline ist der 20. Juli, wenn von der EZB gehaltene Anleihen bedient werden müssen. Wenn dieses Geld nicht fließt, wird sich im EZB-Rat kaum noch eine Mehrheit für weitere Notkredite an Griechenland finden.“ Die Hellas-Banken hängen seit Monaten am Tropf sogenannter Ela-Notkredite, die der EZB-Rat billigen muss. „Wenn Griechenland zahlungsunfähig ist, kann die EZB nicht mehr guten Gewissens die Solvenz der griechischen Banken konstatieren. Die griechischen Banken sind insolvent, wenn der Staat insolvent ist, das ist sicher. Die EZB kann und darf auch als Aufseherin insolvente Bankensysteme nicht stützen.“
Sollte in dem Verhandlungspoker doch noch eine Lösung gefunden werden, würde das nach Kraemers Einschätzung „wahrscheinlich ein bis zwei Monate Zeit kaufen“. Er betonte: „Mittelfristig muss eine klare Vision her, wie der Staatshaushalt in Griechenland finanziert werden soll.“
Letztlich wäre ein Austritt aus dem Euroraum aus seiner Sicht „keine wirkliche Lösung“ für Griechenlands Probleme. „Für Griechenland selbst wäre ein Grexit sehr schlecht: Ein Exportboom ist nicht zu erwarten, der Tourismus könnte leiden, zudem ist Griechenland sehr importabhängig: Energie, Nahrungsmittel, Medikamente könnten teurer werden; denkbar ist, dass nur noch gegen Vorkasse geliefert wird“, erklärte Kraemer. „Die soziale Situation würde sich dramatisch verschlechtern, das wäre dann auch für Europa insgesamt ein Problem.“
Seit 2010 hält das kleine Mittelmeerland Europa in Atem. Nun ringt seit gut vier Monaten die Links-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras mit den Geldgebern. „Die neue griechische Regierung hat zu spät gemerkt, dass sie von Wahlkampf auf Realpolitik umschalten muss. Da ist viel Zeit verloren gegangen“, konstatierte Kraemer. Allerdings belege die Dauerkrise auch, wie kompliziert die Strukturen in Europa seien: „Die Eurozone ist nicht agil genug, um schnell und effektiv mit solchen Krisensituationen umzugehen. Wir sehen aber absehbar keine Bereitschaft der Nationalstaaten, mehr Souveränität an Brüssel abzugeben.“