Terror schockiert Belgier: „Draußen ist Krieg“
Brüssel (dpa) - Morgens heulen Sirenen durch Brüssel. Rettungswagen und Spezialkräfte eilen zum Flughafen. Eine Explosion hat die Terminalhalle verwüstet und etliche Menschen in den Tod gerissen.
Haben Sie schon gehört?“, begrüßen Erzieherinnen gegen 09.00 Uhr die Eltern in der Kita. „Eine Bombe ist am Flughafen hochgegangen. Es soll elf Tote geben.“ Während diese Worte fallen, eine weitere Schreckensnachricht: Um 09.11 Uhr explodiert eine Bombe in einer U-Bahn - mitten im Brüsseler EU-Viertel.
„Wir haben die Explosion gespürt. Das Gebäude erzitterte, obwohl es sehr stabil gebaut ist. Wir sind alle rausgelaufen“, erzählt Rodolphe Devilez, der zum Zeitpunkt des U-Bahn-Anschlags in einer Garage neben der Metro-Station Maelbeek arbeitete. „Wir sahen Menschen aus der Metro rennen, manche mit Brandverletzungen. Haare waren versengt, Gesichter verletzt.“ Devilez ist sichtlich schockiert: „Es waren auch Kinder dabei. Ein kleines Mädchen hat weinend seine Mutter gesucht.“
Wer aufgeatmet hatte nach der Festnahme des terrorverdächtigen Salah Abdeslam vier Tage zuvor, sah sich getäuscht. Vier Monate hatten die belgische und französische Polizei intensiv nach dem 26-Jährigen gefahndet, der seit den Terroranschlägen von Paris mit 130 Todesopfern verschwunden war. Am Dienstag entwischte Abdeslam wohl mit knapper Not bei einer Hausdurchsuchung. Am Freitag nahmen ihn die Fahnder im Brüsseler Stadtteil Molenbeek fest.
Doch die belgischen Behörden behielten die Terrorwarnstufe 3 bei - und erhöhten den Alarm nach den Anschlägen vom Dienstag auf die höchste Stufe 4. „Wir fürchteten einen Terroranschlag, und das ist eingetreten“, sagt Ministerpräsident Charles Michel in seiner ersten Reaktion nach den Anschlägen. Michel ruft die Bürger zur Ruhe auf.
Eine Opferzahl nennt er nicht. Am frühen Nachmittag fahren am Flughafen die Leichenwagen vor, und der flämische Fernsehsender VRT meldet mindestens 34 Tote - 14 von ihnen am Flughafen und 20 in der U-Bahn. Die Regierung ruft eine dreitägige Staatstrauer aus.
„Wir waren in einem Buchladen, haben eine Explosion gehört, dann einen zweiten großen Knall“, sagt eine Frau, die das geschehen am Flughafen erlebte. „Wir haben die Wucht der Explosion gespürt“, fügt sie hinzu, „dann haben wir Menschen rennen gesehen.“ Schließlich seien sie in Sicherheit gebracht worden: „Wir sind zu Fuß vom Flughafengelände gegangen.“
Erica Sepulveda war am Morgen zum Flughafen aufgebrochen, um ihre Eltern abzuholen. „Sie waren im Flugzeug aus Atlanta, als es geschah“, sagt sie. In der Abflughalle - eine Etage über dem Ausgang, wo Sepulveda ihre Eltern erwartete - hatte nach ersten Erkenntnissen der Ermittler ein Selbstmordattentäter die tödliche Bombe gezündet. Die Wucht zerstörte große Teile der verglasten Fassade.
Es war genau das geschehen, was Sepulvedas Eltern befürchtet hatten: „Sie hatten nicht fliegen wollen, weil sie Angst hatten vor Terroranschlägen.“ Dann flogen sie doch und saßen wie Tausende Fluggäste zunächst am Brüsseler Airport fest: „Sie sind jetzt noch am Flughafen“, sagt die Tochter am Vormittag, „Man hat sie den ganzen Morgen im Flugzeug sitzen lassen.“ Erst als die Lage sicher schien, durften sie aussteigen.
Im EU-Viertel, wo die Metro-Bombe explodierte, erscheint die Lage unterdessen alles andere als sicher. Eine Anwohnerin nahe der Metro-Station Maelbeek sagt beim Blick aus dem Fenster: „Draußen ist Krieg.“
Ein Hubschrauber kreist am Himmel, maskierte Einsatzkräfte springen aus ihren Autos. Das Krisenzentrum fordert die Bürger auf, zu Hause oder am Arbeitsplatz zu bleiben. Europaabgeordnete sitzen in ihren Büros fest. Wer auf dem Weg zur Arbeit sei, solle wieder umkehren, teilen EU-Institutionen ihren Beamten mit. Wohl dem, der ein Fahrrad hat: Busse, U- und Straßenbahnen stehen still.
Schwer bewaffnete Soldaten patrouillieren am Dienstag wieder in Brüssels Straßen - seit den Anschlägen von Paris gehören sie in der EU-Hauptstadt an öffentlichen Orten, in Einkaufszentren, an Bahnhöfen, am Flughafen, in der Metro zum gewohnten Bild. Die jüngsten Anschläge hat das nicht verhindert.
„Wir haben Angst. So viele Tote“, klagt ein junge Frau vor einem Lebensmittelgeschäft in der Innenstadt. „Es könnte jeden von uns treffen.“