Analyse Union muss Steinmeier schlucken
Berlin/München (dpa) - Eine Entscheidung aus Vernunft. So erklärt CDU-Chefin Angela Merkel ihrer Parteispitze am Montagmorgen den Entschluss, Außenminister Frank-Walter Steinmeier jetzt für die beste Lösung bei der Suche nach einem Bundespräsidenten zu halten.
Am Nachmittag sagt sie öffentlich, gerade in Zeiten weltweiter Unruhe und Destabilsierung sei der Sozialdemokrat ein „Signal der Stabilität“. „Ein Mann der politischen Mitte“ und „ein verlässlicher und immer auch auf Ausgleich ausgerichteter Politiker“, lobt Merkel und geht damit gezielt auch auf Distanz zum designierten US-Präsidenten Donald Trump.
So hat sie sich für den Mann entschieden, den SPD-Chef Sigmar Gabriel schon früh vorgeschlagen hat. Und dem die Union nichts entgegensetzen konnte. Keiner der CDU-Größen von Bundestagspräsident Norbert Lammert bis zu Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wollte das höchste Staatsamt haben - oder das Risiko eingehen, am Ende gegen den beliebten Sozialdemokraten zu verlieren.
Das lässt tief blicken und verstärkt den Eindruck: Außer Merkel hat die Union eigentlich kaum Frontmänner und -frauen, die das Zeug dafür haben, an der Spitze des Staates zu stehen - und das auch noch wollen. „Wir haben als CSU und CDU keinen Kandidaten mit Aushängeschild gefunden“, formuliert es Seehofer. Das ist ja auch ein Problem bei der Frage, wer außer Merkel Kanzler werden könnte.
Und, was nach Coup hätte aussehen können, blockierte die CSU: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ein Grüner. Für die Bundestagswahl wäre das das Signal gewesen, dass Merkel auch Schwarz-Grün kann. Das fehlt noch in ihrer Sammlung der Koalitionen. Erst war die SPD, dann die FDP und dann wieder die SPD der Partner. Nun hätte Merkel gern die Grünen-Option gestärkt.
Denn sie weiß: Viele Bürger sind der großen Koalition überdrüssig. Die Lähmung im Bundestag, wo Union und SPD mehr als 80 Prozent haben, ist spürbar. Auch das hat die rechtspopulistische Alternative für Deutschland so erfolgreich gemacht. Diese erzählt einfach etwas von Eliten, die den Menschen nicht mehr zuhörten und keine Auswahlmöglichkeiten mehr anböten, weil alles eine Soße sei.
Ein schwarz-grünes Signal wollte Seehofer aber unter allen Umständen verhindern. Der Parteitag der Grünen am Wochenende in Münster habe diese Haltung bestätigt - so sehr er Kretschmann schätze. Vielleicht hätte Seehofer ihn persönlich sogar mitgetragen.
Aber damit hätte er sich selbst den Zorn in der CSU zugezogen. Keinesfalls sollte eine schwarz-grüne Botschaft vor der Bundestagswahl, die wieder vor der Landtagswahl in Bayern ist ausgesendet werden. Dort will der bayerische Ministerpräsident die absolute Mehrheit der CSU verteidigen und dazu passt keine Verbrüderung mit den Grünen. Darum geht es ihm: um die CSU.
Merkels Lage in der Union ist jetzt noch schwerer geworden. „Nicht gerade ein optimaler Beginn eines wichtigen Wahljahres“, verlautet aus der CSU-Spitze. Im CDU-Präsidium ist der Frust zweigeteilt. Die einen sind sprachlos, dass sich wirklich keine christdemokratischen Persönlichkeiten gefunden hat. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe die Wahl Steinmeiers sogar als „Niederlage“ für die Union bewertet, schreibt die „Rheinische Post“.
Die anderen bedauern die Absage an eine schwarz-grüne Botschaft. So soll der Parlamentarische Finanzstaatssekretär Jens Spahn - seine schwarz-grünen Ambitionen sind bekannt - regelrecht davor gewarnt haben, im nächsten Jahr abermals eine große Koalition anzustreben. Denn dieses Signal verkörpere Steinmeier mit seinem Unions-Ticket für die Bundespräsidentenwahl am 14. Februar nächsten Jahres.
Doch es gibt auch andere Möglichkeiten für CDU und CSU, diese Entscheidung zu erklären. Die Unterstützung Steinmeiers kann schließlich auch als bewusstes Zeichen gegen Spaltung und für Gemeinsamkeit gewertet werden. Eben so ganz anders als in den USA.
Merkel weiß, dass sie Schwächen hat, Gefühle zu zeigen. Nach der für die CDU verlorenen Landtagswahl in Berlin hat sie versucht, etwas „mit Gefühl“ zu sagen. Aber es wirkte unbeholfen. Die Menschen haben sich an ihre Nüchternheit und mitunter verschrobenen Sätze inzwischen auch gewöhnt. Dennoch müsste sie die dramatische Lage in der Welt jetzt auch eindrucksvoll beschreiben.
Da sind die Unsicherheit nach dem US-Wahlsieg von Donald Trump, das angeknackste Verhältnis zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin, die Repressalien des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan gegen Journalisten und Oppositionelle und die Gefahr durch die aufstrebenden Rechtspopulisten in ganz Europa, die sich nicht mehr für Fakten interessieren. Auch in Deutschland.
Dass der bayerische Daumen letztendlich für Steinmeier nach oben ging, ist auf ein persönliches Gespräch von ihm und Seehofer am vorigen Samstag zurückzuführen. Erst nach dem vertraulichen Vieraugengespräch in München habe sich Seehofer dazu durchgerungen, Steinmeiers Kandidatur zu unterstützen, heißt es.
Seehofer erhielt am Montag in der CSU viel Zuspruch dafür, dass die Union keinen Grünen-Kandidaten aufstellte. „Die Grünen bereiten eine rot-rot-grüne Regierung vor und wir werden alles tun, das zu verhindern“, sagt er. Und: „Ich bin froh, dass wir uns geeinigt haben, als Union.“ Zehn Monate vor der Bundestagswahl dürfe neben der Flüchtlingsfrage kein weiterer Dissens die Union belasten.
Und dann betont Seehofer noch: „Es gibt auch eine Verantwortung für das Amt und das Land, der muss man Rechnung tragen.“ Und: „Die Leute wollen Präzision, Glaubwürdigkeit, das ist unser Kompass.“