Fragen und Antworten Warschau gegen Brüssel
Brüssel/Warschau (dpa) - Der seit eineinhalb Jahren schwelende Streit zwischen Polen und der Europäischen Union hat noch einmal an Schärfe zugelegt.
In der vergangenen Woche brachte die rechtskonservative Regierung in Warschau eine weitere Justizreform auf den Weg, die nach Ansicht von Kritikern die Gewaltenteilung beseitigen und die Demokratie aushebeln könnte. Die EU-Kommission droht mit Konsequenzen. Ein Überblick über den langwierigen Disput:
Worum geht es aktuell?
Vorige Woche haben beide Kammern des Parlaments in Warschau ein Gesetz zur Reform des Landesrichterrats (KRS) gebilligt, eines Verfassungsorgans zur Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz. Kritiker sehen darin den Versuch der Regierung, Einfluss auf die Richterwahl zu nehmen. Präsident Andrzej Duda muss die Vorlage noch in Kraft setzen. Er brachte nun aber einen eigenen Entwurf ins Spiel. Dieser ist Experten zufolge zwar ein „Hoffnungsschimmer“, die Sorge um die Gewaltenteilung, nimmt er ihnen aber nicht. Außerdem hat der Sejm einen umstrittenen Gesetzentwurf über eine Neuordnung des Obersten Gerichts debattiert. Damit würden dessen Richter allesamt in den Ruhestand geschickt - bis auf handverlesene Ausnahmen. Der Entwurf wurde in den zuständigen Ausschuss überwiesen. Nach Aussage von EU-Vizepräsident Frans Timmermans würden die geplanten Maßnahmen die verbleibende Unabhängigkeit des polnischen Rechtswesens beseitigen.
Was war zuvor schon passiert?
Schon gleich nach dem Regierungsantritt von Ministerpräsidentin Beata Szydlo im November 2015 machte sich die von Jaroslaw Kaczynski geführte Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an den Umbau des polnischen Staates. Mit einem Mediengesetz wandelte sie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in „nationale Kulturinstitute“ um. Viele Journalisten wurden entlassen. Sie setzte außerdem einen Umbau des Verfassungsgerichts (nicht identisch mit dem Obersten Gericht) durch. Rechtmäßig gewählte Richter seien seither nicht ernannt und einige ernannte Richter nicht rechtmäßig gewählt worden, sagt Timmermans.
Was sagt die polnische Regierung?
In einem auf Twitter verbreiteten Spot erklärt die PiS, Polens Justiz sei nach dem Ende des Kommunismus nicht reformiert worden. Deswegen habe es in den vergangenen Jahren Missstände gegeben. Die bisherigen Richter hätten bei Anruf den Vorgängerregierungen gedient. „Ohne die Reform der Gerichte kann man den Staat nicht reparieren“, heißt es. Die Zeit einer „außergewöhnlichen Kaste“, die alles beim Alten lassen wolle, gehe zu Ende. Am Wochenende demonstrierten Tausende Anhänger der Opposition gegen die Reform.
Wie hat die EU bisher reagiert?
Wegen der Eingriffe in die Justiz hatte die EU-Kommission schon Anfang 2016 ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eingeleitet. Das gilt im EU-Recht als besonders schweres Geschütz, weil in letzter Konsequenz Stimmrechte entzogen werden können. Doch stockt das Verfahren. So forderte die Kommission Polen auf, das umstrittene Gesetz zum Verfassungsgericht zu ändern. Die PiS besserte das Gesetz zwar nach, aus Brüsseler Sicht aber unzureichend.
Was könnte die EU tun?
Die neuen Gesetzesinitiativen lassen in Brüssel die Alarmglocken schrillen. „Was in Polen geschieht, betrifft die Union als Ganzes, jeden Mitgliedstaat und jeden Bürger“, sagte Timmermans am Mittwoch. Die Kommission befasste sich in ihrer Sitzung am Mittwoch mit Polen. Beschlüsse wurden nicht gefasst, weil die strittigen Gesetze noch nicht in Kraft sind. Im weiteren Verlauf könnten das laufende Rechtsstaatsverfahren auf den neuen Fall ausgeweitet und Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden. Die Kommission erwägt auch, erstmals den Artikel 7 des EU-Vertrages anzuwenden. Er sieht bei „schwerwiegender und anhaltender Verletzung“ der Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedlands vor. Letztere müsste aber einstimmig beschlossen werden, und es ist unwahrscheinlich, dass Ungarn mitziehen würde.
Wie ist die deutsche Position?
Außenminister Sigmar Gabriel hat die Justizreformen kritisiert. „Wir können in der Welt nicht Rechtsstaatlichkeit und Demokratie predigen und unsere eigenen Standards nicht beachten“, sagte Gabriel dem „Spiegel“. Mit Blick auf den EU-Partner in Warschau fügte er hinzu: „Wir alle müssen darauf achten, dass unser eigenes Fundament nicht bröckelt. Dabei hat die EU-Kommission unseren Rückhalt.“