Was der Burkini Musliminnen bringen soll
Sydney (dpa) - Als Siham Karra-Hassan 15 Jahre alt war, nahm ihr älterer Bruder sie in Sydney mit ins Schwimmbad, um ihr Schwimmen beizubringen. Aufgeregt hüpfte sie mit Baumwollhose und T-Shirt ins Wasser.
„Ein paar Sekunden später kam ein Rettungsschwimmer und forderte mich auf, das Becken zu verlassen, weil ich keine ordentliche Badekleidung trug“, erzählt sie. „Das war der peinlichste Moment meines Lebens.“ Von da an setzte sie keinen Zeh mehr ins Becken, 20 Jahre lang.
Aber dann kam der Burkini und Karra-Hassam ist ein echter Fan. „Er hat mein Leben verändert. Er erlaubte mir, wieder ins Becken zu steigen.“ Mit 35 Jahren lernte sie doch noch schwimmen. Heute zieht sie regelmäßig ihre Bahnen, der Sport gibt ihr Kraft. Karra-Hassan ist sich sicher: Der Burkini hat das Leben vieler Musliminnen verbessert, nicht nur in Australien.
Der Burkini - eine Wortkreuzung aus „Burka“ und „Bikini“ - ist ein Zweiteiler zum Baden, dessen lange Hose und Oberteil Arme und Beine bedecken. Kopf und Hals bekleidet der angenähte „Hijood“ - ein Wortspiel aus „Hidschab“ (Kopftuch) und „Hood“ (Haube). Das Gesicht bleibt frei.
Unter diesem Namen erfunden hat ihn die libanesischstämmige Australierin Aheda Zanetti. Die Idee für gleichzeitig bequeme und bedeckende Sportkleidung kam ihr, als sie ihre Nichte beim Ballspielen beobachtete: „Sie trug Leggings unter ihren Shorts. Das sah extrem unbequem und heiß aus“, erzählt sie.
Sie habe ihr daraufhin „anständige“ Sportkleidung kaufen wollen, aber keine gefunden. Also habe sie selbst welche genäht. Nach den ersten positiven Reaktionen aus dem Freundes- und Familienkreis machte sie bei Schwimmkleidung weiter - und fertigte so im Juni 2004 ihren ersten Burkini aus einem Lycra-Teflon-Stoffmix.
Heute fertigt ihre Firma Ahiida unter dem Markennamen Burkini die Badekleidung aus hochleistungsfähigem Elastan. Sie ist leicht, flexibel und weniger saugfähig, was sie bei muslimischen Rettungsschwimmerinnen beliebt macht. 2007 warb der australische Rettungsschwimmerverband mit einer Kampagne um Mitglieder auch aus dem nahöstlichen Kulturkreis, aus dem viele Migranten stammen. Seither werden an den Stränden des Inselstaats auch im Burkini Leben gerettet.
Die Debatten in Europa um muslimische Frauenkleider, bei denen die Burka-Vollverschleierung und Burkinis munter durcheinander geworfen werden, machen Karra-Hassan und Zanetti fassungslos. „Selbst als der Burkini eingeführt wurde, gab es nicht diese Gegenreaktionen. Tatsächlich bedurfte es anfangs sogar einiger Überredung aufseiten der Muslime, nicht des Westens“, erinnert sich Zanetti.
„Sie sollen unsere Kleidung nicht für ihre politischen Zwecke nutzen. Ich bin damit rausgekommen, damit wir uns leichter in Australien integrieren können“, sagt sie. Mit dem Design habe sie Musliminnen Selbstvertrauen und Komfort bieten wollen. „Der Körper einer Muslimin wird immer politisiert. Egal, ob er bedeckt ist oder nicht“, sagt Zanetti, die auch die Sportkleidung für Afghanistans Frauen-Fußballteam und Bahrains Olympia-Läuferinnen entworfen hat.
Auch Karra-Hassan regen die Verbotsdebatten auf. „Der Strand ist öffentliches Gelände. Der Verbot von Burkinis auf einem öffentlichen Platz bedeutet Ignoranz“, sagt die sechsfache Mutter. Die Kritiker begegneten aus ihrer Sicht dem Unbekannten mit Angst und Vorurteilen. „Sie wollen, dass wir uns in ihre westlichen Ideen einfügen. Ich bin eine fähige, unabhängige Frau. Das ist mein Körper, mein Tempel. Ich entscheide, wie ich ihn zeigen möchte.“
Zanetti wiederum profitiert auch von der Aufregung in Europa, denn sie kurbelt ihr Geschäft über die Website mächtig an. „Wir produzieren mehr denn je zuvor. In Frankreich sind die Verkäufe um 30 bis 40 Prozent in den vergangenen drei Monaten gestiegen. In Deutschland mussten wir den Vertriebspartner wechseln, um die wachsenden Onlineverkäufe ausliefern zu können.“
Andere verschreckt die Debatte in Europa. Die Studentin Salla Elrashid aus Sydney sagt, sie wolle nicht nach Europa reisen. „Ich glaube, dass ich dort eingeschränkt würde.“ Ohne Burkini würde sie gar nicht schwimmen gehen können. „Dann würde ich Shorts mit Leggings tragen, was extrem unangenehm ist, wenn es nass wird. Außerdem kann man damit nicht in öffentlichen Schwimmbädern baden, weil das den Bademeistern die Arbeit erschweren würde.“ In Australien sei das überhaupt kein Thema. „Das ist eine multikulturelle Gesellschaft und hier funktioniert das.“
Nach Zanettis Überzeugung hat der Burkini Tausenden Musliminnen das Selbstvertrauen gegeben, sich raus zu wagen und aktiv am sozialen Leben teilzunehmen. „Als ich jung war, gab es das alles nicht. Wir saßen mit normalen Baumwollklamotten am Strand. Wir durften nicht ins Schwimmbecken.“ Der Burkini habe den Musliminnen Freiheit und Macht gegeben. „Es mag nur ein Schwimmanzug sein, aber für viele von uns ist es sehr viel mehr als das.“