Wirtschaft: Streik kostet bis zu einer halben Milliarde Euro
Berlin (dpa) - Deutschlands Konzerne fürchten durch den knapp einwöchigen Bahnstreik einen Schaden von bis zu einer halben Milliarde Euro.
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer forderte die Lokführergewerkschaft GDL auf, noch die Notbremse zu ziehen und den Ausstand abzusagen: „Der gesamten deutschen Wirtschaft drohen Schäden von täglich 100 Millionen Euro. Das Vorgehen der GDL ist verantwortungslos und vollkommen unverhältnismäßig.“
Auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, kritisierte: „Der Bahnstreik kostet die Wirtschaft nicht nur Nerven, sondern richtig Geld.“ Bei mehrtägigen Ausständen komme die Lieferkette ins Stocken. „Alles in allem drohen Streikkosten von einer halben Milliarde Euro.“
In der Autoindustrie werden im schlimmsten Fall Produktionsengpässe oder der Ausfall von Schichten für möglich gehalten. Ein bis zwei Tage Streik seien noch zu verkraften. „Doch je länger ein Streik im Güterverkehr dauert, desto größer wird die Gefahr, dass die Produktionsabläufe ins Stocken geraten und die Bänder stehen bleiben“, sagte der Präsident des Branchenverbands VDA, Matthias Wissmann, der „Bild“-Zeitung (Dienstag).
Der Autobauer BMW hat deshalb schon vorgesorgt. Fertig produzierte Neuwagen würden zwar üblicherweise aus dem Münchner Werk per Bahn abtransportiert, doch habe man teils auf Lastwagen umgebucht und sei außerdem in Gesprächen mit der Bahn und mit privaten Anbietern, sagte ein BMW-Sprecher. Viele Mitarbeiter wollten Fahrgemeinschaften bilden oder Werksbusse nutzen, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen.
Auch die Stahl- und die Chemiebranche sind auf die pünktliche Anlieferung von Rohstoffen angewiesen. „Eine solche Streikwelle ist Gift für ein hoch entwickeltes Industrieland wie Deutschland“, kritisierte Dieter Schweer, Mitglied der Geschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).
Der Güterkraftverkehrsverband BGL sieht Probleme bei der Versorgung mit Öl: In bestimmten Regionen könne es zu Engpässen kommen, sagte Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt - besonders an Orten, die nicht mit Binnenschiffen beliefert werden oder in der Nähe von Pipelines liegen. Der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt forderte eine stärkere Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger: „Es ist traurig, dass es häufig erst solche „Monster-Streiks“ sind, die für Wirtschaft und Industrie den Anlass geben, über ihre Logistikkonzepte nachzudenken“, sagte Geschäftsführer Jens Schwanen.
Die Maschinenbauer blicken dem Streik weitgehend gelassen entgegen - auch wenn einzelne Firmen durchaus bei Lieferungen Probleme bekommen könnten: „Die deutschen Maschinenbauer sind durch den Lokführerstreik nur in Maßen betroffen, da die Lieferung von Vorprodukten und Komponenten sowie der Transport der fertigen Maschinen an die Kunden in erster Linie durch Lastkraftwagen erfolgt“, erklärte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands VDMA.
Anders die Stahlindustrie: Hier werden erhebliche Folgen befürchtet, weil pro Tag rund 200 000 Tonnen an Gütern für die Branche per Güterzug transportiert würden. Diese könnten nur teilweise auf andere Verkehrsträger wie Lkw oder Schiff umverteilt werden, warnte der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff.
Beim größten deutschen Rohstoff-Produzenten K+S sorgte der Streik noch nicht für Alarmstimmung: „Glücklicherweise sind unsere Lager derzeit nicht sehr voll“, erklärte ein Sprecher des Kasseler Unternehmens. „Eine Verlagerung auf die Straße planen wir daher nur für den Notfall.“ Auch der Stuttgarter Technikkonzern Bosch ist zuversichtlich, die Streikfolgen abfedern zu können. Nur ein geringer Prozentsatz der Landfrachten werde auf Schienen transportiert. Im Fall eines betroffenen Güterzuges werde die Ware auf Lkw geladen.