WM-Skandal wird immer mehr zum Fall Franz Beckenbauer
Frankfurt/Main (dpa) - Die WM-Affäre wird immer mehr zum Fall Franz Beckenbauer. Der mehr als 300-seitige Untersuchungsbericht hat die entscheidende Frage zwar nicht klären können, ob das Sommermärchen 2006 nun gekauft war oder nicht.
„Wir haben keinen Beweis für einen Stimmenkauf, können ihn aber auch nicht vollständig ausschließen“, sagte Christian Duve von der Kanzlei Freshfields. Eines hat der mit Spannung erwartete Freshfields-Report aber ans Licht gebracht: Die Lichtgestalt des deutschen Fußballs war in noch mehr dubiose Zahlungen verstrickt, als ohnehin bekannt.
Die ominösen 6,7 Millionen Euro (10 Millionen Schweizer Franken) landeten demnach über die Schweiz auf einem verdächtigen Konto in Katar - und nicht beim Weltverband FIFA oder deren Finanzkommission. Das ist die Kernaussage des insgesamt 361 Seiten starken Berichts.
Konsequenzen dürfte das Werk damit erst einmal nur für den früheren DFB-Chef Wolfgang Niersbach haben. Die Freshfields-Ermittler wiesen ihm nach, spätestens im Juni 2015 von den Geldflüssen rund um die WM-Vergabe erfahren, das DFB-Präsidium aber monatelang bewusst nicht darüber informiert zu haben. „Das ist ein völlig inakzeptables Vorgehen“, sagte der aktuelle DFB-Interimspräsident Rainer Koch.
Niersbach schrieb in einer E-Mail an die Deutsche Presse-Agentur. „Den Vorwurf, im Sommer 2015 meine Kollegen im DFB-Präsidium nicht zügig über die mir bis dahin bekannten Vorgänge informiert zu haben, verstehe ich“, schrieb er. Er bedaure die Entwicklung zutiefst. Als Präsident des DFB trat der 65-Jährige im November zurück. Derzeit sitzt er als deutscher Vertreter in den Exekutivkomitees der FIFA und des europäischen Verbandes UEFA - ob er das bleiben kann, ist offen.
Koch sprach bei der Einordnung der gesamten Affäre von einem „völligen Versagen der verbandsinternen Kontrollmechanismen“.
Den Fluss der 6,7 Millionen zeichnet der Bericht anders nach als Beckenbauer, Niersbach und andere Mitglieder des WM-Organisationskomitees (OK) das bisher taten. Demnach gingen zunächst zwischen dem 29. Mai und dem 8. Juli 2002 sechs Millionen Schweizer Franken auf dem Konto der Kanzlei Gabriel & Müller ein.
Überwiesen wurde dieses Geld von einem Konto von Beckenbauer und seinem noch im Juli 2002 gestorbenen Manager Robert Schwan. Weitergeleitet wurde es auf ein Konto der Firma KEMCO Scaffolding Co. in Katar. Nach Angaben der Freshfields-Ermittler gehörte diese Firma dem damaligen FIFA-Vize Mohammed bin Hammam. Nach Recherchen in den diversen FIFA-Skandalen wurden über diese Firma auch schon Geschäfte mit dem skandalumwitterten Jack Warner abgewickelt. Warner und bin Hammam wurden wegen Korruption mittlerweile lebenslang gesperrt.
Der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus kam erst im August 2002 ins Spiel. Er überwies einen Betrag von zehn Millionen Schweizer Franken auf das Konto der Kanzlei Gabriel & Müller. Von dort aus wurden sechs Millionen an Beckenbauer und vier Millionen an KEMCO weitergeleitet. Damit erhielt der Chef des WM-OK sein Geld zurück und am Ende landeten umgerechnet 6,7 Millionen Euro in Katar.
Was die KEMCO bzw. bin Hammam danach mit dem Geld machten und warum das Gespann Beckenbauer/Schwan diese Zahlungskette auslöste, ist unklar. Beckenbauer selbst will davon laut Freshfields nichts gewusst haben. „Ich habe immer alles einfach unterschrieben, ich habe sogar blanko unterschrieben“, sagte er einst über seine Rolle in diesem Skandal. Im Freshfields-Report steht wörtlich: „Es ist für uns kaum vorstellbar, dass man derartige Geldbewegungen auf eigenen Konten nicht mitbekommt.“ Auch Bin Hamman bestritt gegenüber den Ermittlern, die zehn Millionen Franken jemals erhalten zu haben.
Die deutschen WM-Macher hatten bislang immer behauptet, dass Louis-Dreyfus ihnen 6,7 Millionen Euro vorgestreckt habe, um damit einen Organisationszuschuss von der FIFA abzusichern. Eine andere These ist, dass bin Hammam das Geld verwendete, um 2002 den Wahlkampf des damaligen FIFA-Präsidenten Joseph Blatter zu unterstützen.
Denkbar ist nach wie vor auch, dass der Katarer damit asiatische Wahlmänner bezahlte, die bei der WM-Vergabe für Deutschland gestimmt hatten. „Wir haben Hinweise darauf, dass es Änderungen im Stimmverhalten gegeben hat“, meinte Duve.
Sicher ist lediglich, dass das deutsche WM-OK die 6,7 Millionen drei Jahre später über ein FIFA-Konto an Louis-Dreyfus zurückzahlte. Allerdings verschleiert als Beitrag zu einer WM-Gala.
Dass sich die Spur der 6,7 Millionen irgendwann verliert, zeigt das Dilemma. Die vom DFB beauftragten Ermittler vernahmen zwar insgesamt 31 Personen - darunter Beckenbauer oder Niersbach und sichteten eine Unmenge Akten und E-Mails. Aber auf Unterlagen der Staatsanwaltschaft und der Schweizer Ermittlungsbehörden hatte Freshfields nie Zugriff.
Wichtige Zeugen wie Blatter schwiegen, Informationen wie die Geldflüsse nach Katar tauchten erst vor wenigen Tagen auf. Aus dem DFB-Archiv verschwand ein Ordner mit dem Titel „FIFA 2000“. Der DFB spricht dennoch von einer sorgfältigen Aufbereitung. „Damit ist die Voraussetzung geschaffen, um die Glaubwürdigkeit des DFB und seiner handelnden Personen wieder herzustellen“, sagte Koch.
Der künftige DFB-Chef Reinhard Grindel hat sich als Konsequenz aus der Affäre für die Einrichtung einer Ethikkommission ausgesprochen. Denn unter seiner Leitung steht bald die nächste Bewerbung an: für die Europameisterschaft 2024.