Auto-Träume aus Tokio: Ein Blick in die Zukunft
Tokio (dpa/tmn) - Japanische Autohersteller haben Fantasie. Das kann man ihnen nicht absprechen. Man möchte dies spätestens nach einem Besuch der Motorshow in Tokio auch nicht mehr. Dort stehen viele Designstudien - teils vollkommen abwegige.
Man muss eigentlich nur ein paar Stunden durch Tokios Stadtteil Akihabara gehen, dann versteht man vieles in dieser Stadt - auch auf deren Motorshow (Publikumstage: 3. bis 11. Dezember). Im Viertel Akihabara ist es nicht nur so voll und eng auf den Straßen, dass es mit dem Auto kaum ein Durchkommen gibt. Es gibt dort auch einen Elektronikshop neben dem anderen. Hier kamen Gameboy, Tamagotchi und Playstation groß heraus, und es lagen die ersten Smartphones in den Schaufenstern. Auch an den Autodesignern sind die Eindrücke offenbar nicht spurlos vorüber gezogen.
Denn viele Einflüsse finden sich in den Designstudien wieder, mit denen die japanischen Autohersteller regelmäßig bei ihrer Heimatmesse überraschen. Dort stehen zwar auch die Vorboten konventioneller Fahrzeuge wie der Mazda Takeri, der binnen Jahresfrist zum neuen Mazda6 reifen soll. Der Honda EV-Ster könnte mal zu einem kleinen Roadster auf Basis des Civic werden. Das Advanced Tourer Concept ist vielleicht ein erster Fingerzeig auf den nächsten Subaru Legacy. Der Daihatsu D-X wäre ein prima Nachfolger für den kleinen Roadster Copen. Und aus dem Mitsubishi PX-Miev II wird sicherlich die Neuauflage des Geländewagens Outlander.
Doch die meisten Studien sehen aus, als kämen sie direkt aus Akihabara. Sie sind quietschbunt, erinnern eher an Spiel- als an Fahrzeuge und sind vollgestopft mit Elektronik. Diese reagiert auf die Stimmungslage des Fahrers mit unterschiedlichen Beleuchtungs- und Musikeinstellungen, kennt den Weg und die Verkehrslage und greift bisweilen ins Steuer. Wer manchen Japaner im Cockpit oder in der U-Bahn beobachtet hat, weiß: Es gibt Besseres zu tun, als selbst zu lenken. „Mit Fahrspaß hat das Auto hier nicht mehr viel zu tun“, sagt der deutsche Designer Tobias Nagel, der jahrelang in Tokio lebte.
In Fahrt gebracht werden Studien wie das Micro Commuter Concept von Honda, der Daihatsu Pico oder der tatsächlich wie ein Q geformte Suzuki Q immer von Elektromotoren. Weil die nur für die Innenstadt ausgelegt und für Berufspendler gedacht sind, genügt den meist mit Lithium-Ionen-Akkus bestückten Ein-, Zwei- oder Dreisitzern eine Reichweite von 50 bis 75 Kilometern. Und wer weiter fahren will, nimmt zum Beispiel kleine Kastenwagen wie den Daihatsu FC Sho Case. Der 3,40 Meter lange Prototyp fährt mit einer Brennstoffzelle, bietet Platz für vier Personen und soll die Wartezeit im Stau versüßen: Eine Flanke im Innenraum wird eingenommen von einem riesigen TV-Monitor, den durch die geöffnete Flügeltür auch alle Passanten betrachten können.
Einen anderen Experimentierschritt gehen die Designer von Toyota bei der Studie Fun Vii. Der knapp vier Meter lange Dreisitzer sieht ausgeschaltet aus wie ein futuristisches Bügeleisen. Doch sobald ihn der Fahrer aktiviert, wird die schwarze Oberfläche der keilförmigen Karosserie zu einem riesigen Touchscreen, der sich an den Bildschirmen von Mobiltelefonen orientiert. Über die gesamte Fahrzeugflanke kann der Fahrer so Kontakt zur Außenwelt aufnehmen, Internetinhalte oder Bilder darstellen und seine sozialen Netzwerke pflegen. Der Antrieb wird dabei so sehr zur Nebensache, das Toyota dazu auf der Messe kein Wort verliert.
Viele Studien in Tokio wirken wie von Computerspielen oder Zukunftsfantasien inspiriert. Doch auch die Bodenhaftung wird gesucht. Sobald Konzepte als realistisch gelten, zieht mitunter Unternehmerkalkül ein, und es gründen sich Firmen. So haben ein großer Medizintechnikkonzern und ein Hersteller von Industrierobotern in Tokio ihr Joint Venture Kobot vorgestellt und gleich drei elektrische Prototypen für Pendler enthüllt, die an Waggons von Kirmes-Fahrgeschäften erinnern. Die Fahrzeuge sollen nach der Idealvorstellung der Entwickler zum Carsharing an den großen U-Bahn-Stationen einmal bereit stehen. Bei entsprechendem Interesse sollen sie produziert und für moderate Preise angeboten werden.
Mobilität in Ballungsräumen ist auch für Nissan ein handfestes Thema. Die Japaner zeigen ihren elektrischen Stadtflitzer Pivo schon in der dritten Evolutionsstufe. Technische Finessen wie die vier lenkbaren Räder für einen minimalen Wendekreis von vier Metern, die Radnabenmotoren, der digitale Assistent und Stimmungsaufheller sind geblieben. Und als Pivo3 kann der knapp drei Meter lange Dreisitzer jetzt sogar automatisch und per Fernbedienung parken. Aber mit jeder Entwicklungsstufe sind die Formen erwachsener und die Absichten ernsthafter geworden. Sechs Jahre nach der Vorstellung des ersten Pivo verspricht Strategiechef Francois Bancon ein drittes Elektrofahrzeug von Nissan. Nach dem Leaf und einem kommenden Kleintransporter könnte das der Pivo sein. „Gut möglich, dass wir den deshalb in ein paar Jahren auf der Straße sehen“, sagt ein Nissan-Mitarbeiter.