Analyse: Das Facebook-Desaster: Schuldiger gesucht
New York (dpa) - Manche haben es natürlich schon vorher gewusst: Der Facebook-Börsengang musste einfach in die Binsen gehen. So wie der US-Komiker Andy Borowitz, der in seinem Blog am Tag vor dem historischen Ereignis einen imaginären „Brief von Mark Zuckerberg“ abdruckte.
„Lieber potenzieller Investor! Seit Jahren hast Du Deine Zeit auf Facebook verschwendet. Jetzt kommt Deine Chance, auch noch Dein Geld darauf zu verschwenden.“ Borowitz' Scherze blieben manchem Investor im Halse stecken. Minus 11 Prozent war die Bilanz der Aktie nach gerade mal zwei Handelstagen. Und am Dienstag sackte das Papier noch weiter um knapp sechs Prozent auf 32 Dollar ab. Die anfängliche Euphorie über die Möglichkeit, in das weltgrößte Online-Netzwerk zu investieren, ist bei etlichen Anlegern in Panik umgeschlagen: Nur schnell raus aus Facebook, bevor das Papier noch weiter fällt. Bei 32 Dollar, so denken sich einige, ist noch viel Luft nach unten, aber kaum nach oben.
Doch wer trägt die Schuld an dem Desaster? Vor allem die Investmentbank Morgan Stanley bekommt es knüppeldick ab. Sie hat als sogenannter „Lead Underwriter“ die Gruppe der Finanzfirmen angeführt, die über Monate den Börsengang vorbereiteten und die Aktien an die Anleger verkauften. „Morgan Stanley hat zu viele Aktien ausgegeben, und die Preisfindung war unter aller Sau“, twitterte Jack Welch, der legendäre Ex-Chef des US-Konglomerats General Electric. „Sie tragen die Schuld am Facebook-Debakel.“
In der Tat wurde der Börsengang gleich mehrfach ausgeweitet: Ursprünglich sollten die Aktienverkäufe 5 Milliarden Dollar einbringen, daraus wurden 12 Milliarden Dollar und am Ende sogar 16 Milliarden Dollar. Für die Schar der Banker war die Verdreifachung des Volumens verlockend: Sie kassierten nach Informationen von US-Medien für ihre Arbeit einen Anteil von rund 1,1 Prozent der Einnahmen - bei der gigantischen Summe immerhin 176 Millionen Dollar.
Allerdings konnten die Banker den Börsengang nur deshalb so aufblähen, weil die Alteigentümer von Facebook zugestimmt haben. Vor allem Fonds und Finanzinvestoren, mit deren Geld das soziale Netzwerk in den vergangenen Jahren sein rasantes Wachstum finanziert hatte, verkauften am Ende viel mehr Aktien als ursprünglich geplant. Fast schien es, als ob die Devise lautete: Nur schnell raus, bevor der Hype abflaut.
Dies trug nicht gerade dazu bei, das Vertrauen in die Facebook-Aktie zu stärken. Denn üblicherweise verpflichten sich Alteigentümer, länger an Bord zu bleiben. Und auch das Facebook-Management um Mark Zuckerberg tat wenig, um das Vertrauen wieder herzustellen. Der Gründer und seine Mannen schweigen eisern seit dem Börsengang. Keine Interviews, kein öffentlicher Auftritt. All das gehört eigentlich zum Pflichtprogramm für einen Börsen-Neuling - schließlich wollen die Anleger wissen, wohin die Reise geht. Stattdessen heiratete Zuckerberg am Wochenende.
Die Anleger selbst sind allerdings auch nicht ganz schuldlos daran, dass die Aktie derart eingebrochen ist - denn ohne eine entsprechende Nachfrage im Vorfeld hätten Facebook und seine Banker den Börsengang kaum so groß gestaltet. Kurz vor dem Schritt an die Börse kamen so manchem Investor jedoch offenbar Zweifel, ob ein Unternehmen mit zuletzt einer Millliarde Dollar Gewinn tatsächlich insgesamt 104 Milliarden Dollar wert sein sollte.
Es folgte eine Welle an Stornierungen von Kaufaufträgen ganz knapp vor dem Handelsbeginn - was auch der Grund für den zeitweisen Ausfall der Computersysteme beim Börsenbetreiber Nasdaq war. Weil die Anleger teils über Stunden im Blindflug unterwegs waren, griff Panik um sich - und viele versuchten, so schnell wie möglich wieder bei Facebook auszusteigen. Die Aufzeichnungen vom ersten Handelstag zeigen, dass im Schnitt jede Aktie mehr als einmal den Besitzer wechselte.
Dass es auch anders gehen kann, hatte ausgerechnet Facebooks Erzrivale Google bei seinem Börsengang im Jahr 2004 gezeigt. „Wir haben eine Auktion veranstaltet“, sagte Gründer und Konzernchef Larry Page in der Talkshow „Charlie Rose“. „Wir haben versucht, mehr einfache Leute teilhaben zu lassen.“ Ob das gelungen ist, sei dahingestellt. Fest steht: Damals war Google 23 Milliarden Dollar wert, heute sind es rund 200 Milliarden Dollar.