Analyse: Daten-Skandal kratzt an US-Demokratie
Peking (dpa) - Werden die USA wie China? Die Berichte über eine massive Überwachung des Internets durch den US-Geheimdienst erinnert viele Chinesen schmerzlich an die eigene Bespitzelung durch Chinas berüchtigte Staatssicherheit.
Die Enthüllungen über eine willkürliche Datenschnüffelei der USA werfen für sie einen dunklen Schatten auf die amerikanische Demokratie.
Die USA predigten anderen Ländern wie China immer Transparenz und Rechtsstaatlichkeit, aber hielten sich selbst nicht daran, heißt es in Kommentaren zu den Enthüllungen über die massive Computerspionage der USA.
„Für mich ist das Missbrauch von Regierungsmacht, um in die Privatsphäre von Individuen einzudringen“, schreibt der berühmte chinesische Künstler Ai Weiwei in der britischen Zeitung „Guardian“. „Ich bin geschockt.“ Unter der Überschrift „Die USA benehmen sich wie China“ warnt der Regimekritiker vor einem Missbrauch der gesammelten Informationen und erinnert an die Kulturrevolution (1966-76).
Chinesen seien damals als „Konterrevolutionäre“ verfolgt worden, nur weil der Nachbar etwas Verdächtiges gehört haben wollte. „Millionen von Menschenleben wurden ruiniert, weil solche Informationen missbraucht wurden.“ Mit den heutigen technischen Möglichkeiten und den Sozialen Medien seien die Menschen noch verletzlicher, warnt der Künstler und Blogger.
Das Argument, die Überwachung diene nur der eigenen Sicherheit, lässt Ai Weiwei nicht gelten. Eine Lehre aus der Geschichte sei, „dass es notwendig ist, staatliche Macht zu begrenzen“, betont er. „Wenn eine Regierung vom Volk gewählt ist und ehrlich für die Menschen arbeitet, sollte sie sich nicht solchen Versuchungen hingeben“, schreibt Ai Weiwei, der bis 1993 selbst zwölf Jahre in den USA gelebt hat. „Wir dürfen unsere Rechte an niemanden abgeben“, warnt der Künstler. „Keiner staatlichen Macht darf ein solches Vertrauen geschenkt werden. Nicht China. Nicht den USA.“
Wie Überwachung aus Gründen der Staatssicherheit funktioniert, erleben Bürgerrechtler wie Ai Weiwei und alle Internetnutzer tagtäglich in China. Kritische Äußerungen im Netz werden verfolgt und zensiert. Emails werden abgefangen, Telefone abgehört, SMS-Nachrichten mitgelesen. Die gesammelten Informationen dienen häufig zur Verurteilung wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“, die mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet werden.
Der gigantische chinesische Überwachungsapparat sichert die Macht der Kommunistischen Partei und das Wohlergehen korrupter Funktionäre. „PRISM ist nichts im Vergleich zu dem, was wir hier haben“, kommentiert ein Internetnutzer das angebliche Programm des US-Abhördienstes NSA. Viele fühlen sich plötzlich mit Online-Diensten von Google oder Apple nicht mehr wohl, wenn der US-Geheimdienst mitliest. „Ich fühle mich betrogen“, schreibt einer.
Die Reaktionen in den Twitter-ähnlichen Plattformen in China sind aber eher gedämpft - vielleicht wegen der drei Feiertage zum Drachenbootfestival oder der wenigen Berichte in den zensierten Staatsmedien. Nur die „China Daily“ hob etwas hämisch hervor, dass die USA immer China wegen Hacker-Angriffen auf Computer beschuldigt hätten, aber jetzt selbst im „Spionagesumpf“ steckten.
Viele Chinese feiern aber den Informanten Edward Snowden, der den Skandal ins Rollen gebracht und sich nach Hongkong geflüchtet hat, als „Helden“, „Vorkämpfer für die Menschenrechte“ und Musterbeispiel für amerikanisches Bürgerrechtsbewusstsein. Amerika sei bisher für den Schutz der Privatrechte bekannt gewesen, doch die enthüllte Bespitzelung sei „wirklich erstaunlich“, schreibt ein Internetnutzer und sieht die amerikanische Demokratie beschädigt.
Scharfe Worte fand die Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“, die keineswegs für antiamerikanische Töne bekannt ist. „Die USA verstehen sich selbst als leuchtendes Beispiel für gute Regierungsführung, als moralische Richter über Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und Grundrechte“, hieß es in einem Kommentar. Der Skandal zeige aber, dass den USA „nicht getraut“ werden könne. „Die US-Regierung praktiziert nicht immer selbst, was sie predigt, selbst nicht im eigenen Land.“