Analyse: Netzaktivisten punkten gegen Facebook
Neu Delhi (dpa) - Chandauli ist ein kleines Dorf im Norden Indiens, 240 staubige und holprige Kilometer von der Hauptstadt Neu Delhi entfernt. Im vergangenen Jahr bekam Chandauli eine Internetverbindung - und sofort war Facebook-Chef Mark Zuckerberg zur Stelle.
„Nicht nur die Reichen und Mächtigen dürfen vernetzt sein. Das muss etwas sein, dass jedem zur Verfügung steht“, sagte Zuckerberg.
Der Facebook-Chef war unterwegs auf einer Werbetour für sein Lieblingsprojekt Internet.org. Damit will er entlegene und arme Weltregionen günstig vernetzen - etwa auch mit Hilfe von Drohnen und Satelliten. Kein anderes Land hat dafür ein so großes Potenzial wie Indien. Laut der Internet- und Mobilvereinigung Indiens sind rund 300 Millionen Inder online; das heißt aber auch, etwa eine Milliarde Menschen auf dem Subkontinent sind es noch nicht.
Allerdings regt sich Widerstand gegen Zuckerbergs Pläne. Denn Internet.org bietet nur zu ausgewählten Online-Seiten Zugang - unter anderem natürlich zu Facebook, in Indien außerdem zu 37 weiteren Webseiten. „Lieber Marc Zuckerberg“, schrieben indische Netzaktivisten deswegen jüngst in einem offenen Brief. „Facebook ist nicht das Internet, und sollte es auch nicht sein.“ Der Protest wurde in den vergangenen Tagen so gewaltig, dass mehrere indische Firmen - darunter das Reiseportal cleartrip.com und die großen Mediengruppen Times Group und NDTV - sich aus Internet.org zurückzogen.
Eine der Kernforderungen der Netzaktivisten lautet: Netzneutralität. Alle Daten sollen im Internet gleich behandelt werden. Keine Homepage darf unerreichbar sein, weil sie nicht mit Facebook kooperiert. Zuckerberg reagierte am Montag mit einem ersten Schritt zur Ausweitung des Angebots bei Internet.org - alle Anbieter sollen über eine Plattform Versionen ihrer Dienste für die Initiative entwickeln können. Einschränkungen seien lediglich mit der Notwendigkeit verbunden, das umgeschlagene Datenvolumen klein zu halten.
Das Grundprinzip der Netzneutralität besagt auch, dass keine Daten dürfen schneller oder exklusiv durchgeleitet werden sollen, weil das Unternehmen oder der Nutzer Extra-Geld an die Netzbetreiber zahlt. Genau eine solche Sonderbehandlung hatte der indische Telekomanbieter Bharti Airtel jüngst in Indien eingeführt. Daten von Unternehmen, die bei Airtel Zero mitmachen, werden dem Internetnutzer in seinem Datenvolumen nicht angerechnet. Das benachteiligt kleine Start-Ups - gerade in einem Markt wie Indien, wo die Menschen oft nur wenige Rupien für das Internet ausgeben können und um jedes kostenlose Extra froh sind. Der Protest gegen Airtel Zero zeigte Wirkung: Indiens führender Online-Marktplatz Flipkart zog sich daraus zurück.
Auch die Behörden blieben nicht verschont von den empörten Onlinern. Die indische Telekom-Aufsicht TRAI etwa stellte Ende März ein 118-seitiges Diskussionspapier zur Netzneutralität online. Sie forderte die Menschen auf, bis Freitag Kommentare zu schicken. „Das Papier ist sehr wohlwollend gegenüber den Netzbetreibern“, sagt der Informatiker Kiran Jonnalagadda in Bangalore.
Deswegen gründeten Jonnalagadda und rund 50 weitere Aktivisten die Gruppe „Rettet das Internet“. Sie formulierten ein langes Antwortschreiben an TRAI, das von Tausenden kopiert und abgesendet wurde. Lautstarke Unterstützung kam vom Comedy-Team AIB, die zu massenhaften Beschwerden aufrief. „Ich warte jetzt einfach hier, bis ihr klickt“, sagt Komiker Tanmay Bhat am Ende des Videos. Nach Angaben von „Rettet das Internet“ wurde der Posteingang von TRAI geflutet - mehr als eine Million E-Mails gingen dort ein.
Zahlreiche indische Startups richteten sich in einem Brief auch direkt an Indiens Premierminister Narendra Modi. Sie bitten ihn, das offene Internet zu schützen. Die Politik scheint die Rufe zu hören. IT-Minister Ravi Shankar Prasad beeilte sich nun zu sagen: TRAI kann ja um Meinungen bitten, aber wir entscheiden das Ganze am Ende. „Diese Regierung schätzt den Netzaktivismus der Jugend. Unser Premierminister hat erklärt, dass Internet für alle ohne Diskriminierung zugänglich gemacht werden muss“, versicherte Prasad.