Apps statt PS: Autobranche ringt um Allianzen
Frankfurt/Main (dpa) - Früher war in der Autobranche alles klar und eindeutig. Das Endprodukt Auto definierte sich über Design, Größe, Komfort, Sicherheit, Preis - und natürlich PS. Etwa alle sechs Jahre gab es neue Modelle.
Allianzen waren eine Sensation.
Junge Menschen träumten noch vom eigenen Auto als Statussymbol. „Heute haben sich die Kundenwünsche dramatisch verändert“, sagt Autoexperte Stefan Bratzel.
Der Zulieferer Conti ist ein Beispiel für den Umbruch: Er gab im Januar bekannt, mit Nokia hochpräzise Karten zu entwickeln, die sogar vom Autopiloten genutzt werden könnten. Conti-Chef Elmar Degenhart sagt: „Die Digitalisierung des gesamten Lebens nimmt weiter rasant zu. Sie verändert sowohl die Mobilität als auch die industrielle Produktion. Sie verlangt von uns Offenheit für völlig neue Lösungswege.“
Im Markt ist viel Bewegung. Der Internetriese Google kaufte kürzlich die Navi-App Waze, mit der sich Nutzer gegenseitig über die Verkehrslage informieren. Google selber erprobt längst autonom fahrende Autos. Hier prallen milliardenschwere Branchen aufeinander.
„Das Geschäftsmodell der Automobilhersteller hat sich drastisch verändert“, attestiert Bratzel. Fahrzeugtechnische Themen drehten sich hin zu virtuellen Themen. So arbeitet Conti auch mit dem Netzausrüster Cisco zusammen. IBM ist ein weiterer Conti-Partner - beide Branchen, früher einander fremd, nähern sich verstärkt an. Das Credo von Conti-Chef Degenhart: Er glaube, „dass das Internet nicht nur ins Auto kommt, sondern dass das Auto Teil des Internets wird“.
Branchenfachmann Bratzel sieht das ähnlich. „Das alles spiegelt wider, dass sich die Kunden zunehmend in einer anderen Welt bewegen.“ Das Auto wird zur rollenden App-Plattform. „Wenn man so will, beginnt jetzt die Verlagerung von der Hardware - dem Auto also - verstärkt hin zur Software und Dienstleistungen“, sagt der Experte. Darin hätten Autobauer aber seit gut 100 Jahren eher wenig Übung. Nun gehe es Schlag auf Schlag. Jüngst gab Daimler dem Trend sogar einen eigenen Markennamen: „Mercedes Me“.
Eine ganze neue Welt will ins Auto. Dass die Freisprecheinrichtung automatisch aufs Handy-Telefonbuch zugreifen kann, erwarten heute viele Kunden. Autos sollen wissen, wo man günstig tankt. Sie sollen Staus vorausahnen. Und wenn die nächste Inspektion ansteht, darf das Auto auch der Werkstatt Terminvorschläge machen - vorausgesetzt, es kennt den Kalender des Nutzers. Falls der sich überhaupt noch darum kümmern muss, denn womöglich nutzt der Fahrer ja schon Carsharing.
Nicht wenige Experten sehen sogar den Autopiloten auf der Autobahn schon im nächsten Jahrzehnt Realität werden. „Wir sind überzeugt: Unfälle im Straßenverkehr gehören ins Museum“, sagt Degenhart.
Wo man auch hinschaut, der Tenor ist ähnlich. Volkswagen-Chef Martin Winterkorn gab kürzlich die Losung aus: „Unsere Branche steht in den nächsten Jahren vor einem der größten Umbrüche seit Bestehen des Automobils. Die Erwartungen der Menschen an die Mobilität wandeln sich fundamental. Die Wünsche an das eigene Automobil verändern sich immer schneller.“ Die neuen Vorstellungen der Kunden stellten sogar die altbekannten Modellzyklen in Frage.
Degenhart glaubt nicht daran, dass die Konstruktionsbasis der Autos bald alle drei Jahre ihr Gesicht ändere, doch die Lebenserwartung des digitalen Innenlebens sinke merklich. Nach- und Aufrüsten in raschen Rhythmen - das werde der neue Motor für die Branche sein.
Winterkorn hält es sogar für wahrscheinlich, „dass die Menschen vermehrt ganz neue Konzepte und Karosserievarianten von uns erwarten, die wir heute vielleicht noch gar nicht kennen“. Die Zukunft der gesamten Branche sei im Kern berührt, neue Antworten müssten her.
Nun spricht die Autowelt gerne von Superlativen und Revolution. Bei der Elektromobilität etwa war das so - und dann schlief sie noch vor dem Losfahren ein. Doch nun ist vieles anders. Fachmann Bratzel meint, dass die Karten neu gemischt werden zwischen Herstellern wie VW und Zulieferern wie Conti. „Ich glaube, wir erleben derzeit schon, dass sich die Machtbasis zugunsten der Zulieferer verschiebt.“ Zwar wolle der Hersteller auch weiter „das Steuer in der Hand halten“. Doch Zulieferer hätten es mitunter leichter, Kooperationen für das nötige neue Know-how einzugehen. Aber diese Freiheit berge auch Gefahr. Kooperieren heiße auch, sich auf mögliche technologische Pfade einzuschießen. „Das kann Dinge verhindern“, warnt Bratzel.