Hintergrund Digitaler Alltag: Was Esten alles online erledigen können
Tallinn (dpa) - In Europa gilt Estland als einer der Vorreiter der digitalen Verwaltung. Das kleine Land im Baltikum setzt Maßstäbe beim E-Government und hat bereits viele Bürgerdienste und öffentliche Angebote ins Internet verlagert.
Und auch im Alltag läuft vieles elektronisch. Eine Auswahl:
E-VOTING - DEMOKRATIE PER INTERNET: Seit 2005 können die Esten online wählen. Beim ersten Anlauf wurden nur knapp zwei Prozent der Stimmen über das Internet abgegeben. Bei der vergangenen Parlamentswahl im März 2015 setzten mehr als 30 Prozent aller Wähler ihr Kreuz elektronisch. Anders als beim traditionellen Urnengang kann sich der Wähler bis zum Wahlende nochmals umentscheiden - nur die zuletzt abgegebene Stimme zählt.
ONLINE-KLASSENBUCH UND DIGITALES EINMALEINS: Schulen in Estland sind mit Computern und Internetzugang ausgestattet. Über eine Online- Plattform organisieren fast alle Lehrer, Schüler und Eltern den Schulalltag. Dort können Lehr- und Stundenpläne, Noten, Hausaufgaben und Fehlzeiten abgerufen werden. Bereits im Kindergarten gibt es Robotik-Projekte, Schüler lernen ab der ersten Klasse programmieren.
VIRTUELLE GESUNDHEITSAKTEN UND DIGITALE REZEPTE: Die Gesundheitsdaten der Bevölkerung sind in einem Patientenportal vereint. Dort werden personenbezogen alle Daten wie etwa Arztbesuche, Röntgenbilder, Diagnosen und verschriebene Medikamente gespeichert - von der Geburt bis zum Tod. Ärzte und Krankenhäuser können mit Erlaubnis des Patienten online auf die Akten zugreifen. Auch können sie digitale Rezepte ausstellen, die Apotheker abrufen können.
ELEKTRONISCHER AUSWEIS UND DIGITALE SIGNATUR: Nahezu alle Esten besitzen eine computerlesbare ID-Karte, die als Personalausweis dient und im Internet die Feststellung der Identität ermöglicht. Damit können auch digitale Signaturen geleistet werden, die in Estland rechtlich der normalen Unterschrift gleichgestellt sind.
ELEKTRONISCHE STEUERERKLÄRUNG: Für seine Steuererklärung greift kaum ein Este mehr zu Stift und Papierformular - 2015 gaben 96 Prozent diese online ab. Ein Klick öffnet ein Internetportal der Steuerbehörde mit geschütztem Zugang. Dort kann die Erklärung in wenigen Minuten online abgegeben werden - sie steht am Jahresende vorausgefüllt im Netz.
REGIEREN PER MAUSKLICK: Die estnische Regierung erledigt ihre Amtsgeschäfte komplett papierlos. Anstatt mit Aktenmappen unterm Arm kommen Minister mit Laptops oder Tablets zu den Kabinettssitzungen. Offizielle Dokumente werden in der Regel digital signiert - einen Kugelschreiber benötigen Minister meist nur zu zeremoniellen Zwecken.
UNTERNEHMENSGRÜNDUNG IM INTERNET: Jeder Unternehmer kann am eigenen Computer ohne aufwendigen Papierkram eine Firma gründen. Dies dauert durchschnittlich nur noch eine halbe Stunde - die Rekordzeit liegt bei 18 Minuten und drei Sekunden. Auch Jahresberichte, Registerauszüge oder Grundbucheinträge lassen sich online erledigen.
ONLINE-JUSTIZ: Ein Justizportal informiert über das estnische Gerichtswesen und bietet Einsicht in bereits erlassene Urteile. Prozessbeteiligte können über eine spezielle Datenbank online auf die Gerichtsunterlagen laufender Verfahren zugreifen. Gerichte können Angeklagte und Zeugen auch über soziale Netzwerke vorladen.
E-POLIZEI: Bei Fahrzeugkontrollen braucht die estnische Polizei nicht mehr länger nach Führerschein und Fahrzeugpapieren zu fragen. Die Beamten können im Streifenwagen über das Internet auf Vorstrafen, Versicherungen und alle nötigen Informationen zu Fahrzeughalter und Fahrer zugreifen.
BARGELDLOS BEZAHLEN: Auch ihre Bankgeschäfte erledigen die Esten am liebsten online - 98 Prozent aller Transaktionen werden über das Internet getätigt. Parktickets werden über SMS gekauft und Fahrscheine für Bus und Bahn mit dem Mobiltelefon bezahlt.
VIRTUELLE BÜRGER: Mit einer sogenannten „E-Residency“ können auch Ausländer die Angebote des digitalen Estlands nutzen. Sie erlaubt Investoren und Unternehmen, fast alles über das Internet zu regeln und ortsunabḧängig zu arbeiten. Prominenteste estnische E-Bürgerin dürfte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sein, die bei ihrem Besuch in der Hauptstadt Tallinn im August 2016 eine ID-Karte erhielt.