Kann Apple die Smartphone-Geldbörse in den Alltag bringen?
Berlin (dpa) - Schon seit Jahren versuchen Mobilfunk-Anbieter, Kreditkarten-Konzerne und auch Internet-Firmen wie Google, die digitale Brieftasche im Handy zu etablieren.
Der Erfolg blieb bisher überschaubar. Jetzt springt Apple auf den Zug auf - und viele Branchenbeobachter verkünden auf einmal, die Ära des mobilen Bezahlens mit dem Smartphone habe begonnen.
Dabei setzt Apple auf der selben technischen Basis wie die bisherigen Anbieter auf: Grundlage ist der NFC-Nahfunk, bei dem ein Chip im Telefon Kontakt mit einem entsprechend ausgerüsteten Lesegerät aufnimmt. So gesehen sei Apple Pay keine große Innovation, sagt Oliver Hommel, Branchenexperte bei der Unternehmensberatung Accenture. „Es ist nichts großartig anderes, was nicht andere auch schon machen.“ Aber die Apple-Community sei dafür bekannt, neue Services und Produkte des Konzerns schnell anzunehmen. „Und die Marketing-Maschine ist natürlich auch sehr gut.“ Der Chef des IT-Dienstleisters GFT, Ulrich Dietz, ist überzeugt, dass sich das Apple-System schneller etablieren werde als alle bisherigen Versuche.
Zugleich spricht aber auch vieles dafür, dass Apple den richtigen Zeitpunkt für den Markteinstieg ausgesucht hat. Zum einen wird gerade die nötige Infrastruktur im Handel aggressiv ausgebaut. Eine der Hürden war bisher, dass an zu wenigen Orten kontaktlos bezahlt werden konnte. Das ändert sich. So gab Mastercard bereits das Ziel aus, zum Jahr 2018 sollen alle Karten-Terminals in Deutschland NFC-tauglich sein - und bis 2020 alle in Europa.
Noch viel wichtiger: In Apples Heimatmarkt USA, in dem das iPhone bei einem Marktanteil von 40 Prozent liegt, stehen gerade radikale Veränderungen an. Die bisher gängigen Magnetstreifen in den Karten sind ein Auslaufmodell. Ab Oktober 2015 muss das auch in Europa gängige Verfahren mit Chip & PIN unterstützt werden. Deshalb werden in nächster Zeit massenhaft die Bezahl-Terminals ausgetauscht - und die meisten neuen Modelle haben auch NFC an Bord.
Apple hat das Zeug dazu, das Kräfteverhältnis in dem Geschäft zu verschieben. Es zeichne sich ab, dass es für die Banken sehr schwierig werden könne, an Apple und den Kreditkarten-Konzernen vorbeizukommen, sagt Zahlungsverkehrsexperte Hommel. „Apple kontrolliert allein den Zugang zum Secure-Element-Chip, in dem die Daten gelagert werden. Und da wird Apple sicherlich eine Art Wegezoll von den Banken einfordern - ob es sich nun um eine transaktionsabhängige Gebühr oder Fixpreise handeln wird.“
Apple betonte bisher nur, für Verbraucher und Geschäfte werde das System keine zusätzlichen Kosten bringen. Die „New York Times“ berichtete aber bereits, der Konzern habe den beteiligten Banken in den USA niedrigere Bearbeitungsgebühren als sonst üblich abgerungen. Über einen Start von Apple Pay in Europa werde schon verhandelt, sagte ein Visa-Manager der „Financial Times“. Apple gab bisher keine Hinweise darauf, wie schnell das System außerhalb der USA eingeführt werden könnte. Dort startet es im Oktober.
GFT-Chef Dietz sieht nun die deutschen Banken, die an eigenen Lösungen arbeiten, unter Druck. „Wenn jetzt noch jemand glaubt, er kann am Markt ein eigenes System durchsetzen, ist das ein Ego-Trip, der in einem Millionengrab enden wird.“ Die deutsche Kreditwirtschaft müsse rasch und geschlossen in Gespräche mit der IT-Industrie gehen, sagt Dietz. „Dann kann sie ihre Technologien einbringen, die in ganz Europa eingesetzt werden könnten.“ Die Chance dafür sieht er vor allem außerhalb der Apple-Welt, beim Google-Betriebssystem Android, das einen höheren Marktanteil als das iPhone hat.
„Die Banken werden aus Sicht des Kunden austauschbarer, weil sie in eine digitale Brieftasche von Apple reingepackt werden“, sagt auch Accenture-Experte Hommel. Der große Verlierer der Apple-Ankündigung seien aber die Telekommunikations-Unternehmen - „denn für dieses Mobile-Payment-System braucht man sie nicht mehr.“ Die Telekom-Anbieter setzten jahrelang auf die SIM-Karte als Datentresor, mit Apples zusätzlichen Sicherheitschips werde das hinfällig. Um ihre Position zu halten, müssten die Mobilfunk-Anbieter die anderen Hersteller davon abhalten, dem Apple-Vorbild zu folgen.
Außerdem zeichne sich ab, dass die Banken auf die Services der Kreditkarten-Firmen zurückgreifen müssen, wenn sie bei Apple Pay dabei sein wollen, sagt Hommel. Apple setzt mit ihrer Unterstützung ein Verfahren namens „Tokenization“ um, bei dem im Handy statt Daten der Kreditkarte nur ein ihr zugewiesener Code gespeichert wird. Das ist sicherer, weil man keine Informationen auslesen kann. Zum anderen läuft nichts ohne den Anbieter dieses Dienstes.
Kreditkarten-Firmen wittern die Chance, in Deutschland aufzuholen. So brachte Mastercard das Vorteilsprogramm „Priceless Cities“ nach Deutschland und verspricht Verbrauchern „unbezahlbare Momente“ zunächst in München. Mastercard setze verstärkt auf Initiativen zur Kundenbindung, sagt Deutschlandchef Pawel Rychlinski.
Für Apple ist jedenfalls wichtig, dass die Verbraucher nichts von Machtkämpfen hinter den Kulissen mitbekommen: „Am Ende entscheidet der Komfort für den Kunden“, sagt Dietz.