„Kaum erkennbar“: Rechtsextreme tarnen sich im Internet
Berlin (dpa) - „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“: Das auf der Internetplattform YouTube tausendfach angeklickte Video beginnt mit einem unverfänglichen Slogan und sanfter Hintergrundmusik.
Tier- und Landschaftsbilder erscheinen in loser Folge. Anderthalb Minuten später sieht die Sache schon ganz anders aus: „Dies ist eine Kriegserklärung“, heißt es dann.
Eine Kriegserklärung gegen die „multikulturelle Gesellschaft“. Mit scheinbar unverfänglichen Online-Beiträgen wie diesem versuchen Rechtsextreme zunehmend, Jugendliche im Internet zu ködern, warnt die Organisation „jugendschutz.net“.
„Das Video steht für einen Trend“, sagt Stefan Glaser von „jugendschutz.net“. Mit einprägsamen Slogans und schicker Fassade kaschierten Rechtsextreme im Netz zunehmend ihre menschenverachtenden Botschaften.
„Moderne Neonazis präsentieren sich als Menschenfreunde, die sich "kümmern" und der jungen Generation modische Styles, Action und Events bieten“, sagt Glaser, Leiter des Extremismusbereichs von „jugendschutz.net“, einer vom Bundesfamilienministerium geförderten Organisation.
Von allzu plumpen Neonazi-Parolen grenzten sich diese Rechtsextremen ab: „Null Prozent rassistisch, hundert Prozent identitär“, heißt es auf einer einschlägigen Internetseite. „Es werden auch bewusst Symbole gezeigt, die sonst in einem anderen Kontext benutzt werden“, erklärt Glaser.
So werde beispielsweise das Logo der gegen Rechtsextremismus gerichteten Initiative „Gesicht zeigen!“ pervertiert. Dadurch werde auch ein Wiedererkennungseffekt geschaffen, was eine schnelle Verbreitung in Online-Netzwerken begünstige.
„Viele Angebote heißen mittlerweile so, dass man sie dem Rechtsextremismus kaum mehr zuordnen kann“, sagt Glaser. Webblogs mit Namen wie „Pinselstriche“ und „Mauerblümchen“ stellten sich als vermeintliche zeitgemäße Alternative zum demokratischen System dar. Neonazis benutzten Bilder bekannter Charaktere aus Film und Fernsehen für ihr Propagandamaterial. „Außerdem wird das Rebellische in Jugendlichen angesprochen.“
In anderen Fällen werde der rassistische Inhalt von Beiträgen verschleiert, sagt Glaser. Ein Video, das den Trailer eines bekannten Kino-Blockbusters ankündigt, entpuppe sich dann als Hasspropaganda. Neonazis erreichen so auch Jugendliche, die nicht zur rechtsextremen Szene gehören. Das zeigten die Diskussionen unter Videos und die Verbreitung von Neonazi-Links in Sozialen Netzwerken.
Häufig hätten Neonazis dabei freie Bahn. „Im Internet fehlt es oft an einer offensiven Auseinandersetzung mit rechtsextremen Inhalten“, kritisiert der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger. Andere Nutzer müssten sich mit Minderheiten solidarisieren und Naziparolen die Stirn bieten.
„Jugendschutz.net“ und die Online-Beratung gegen Rechtsextremismus versuchen mittlerweile selbst, mit Internetvideos Jugendliche für rechtes Gedankengut zu sensibilisieren. Bei YouTube und Facebook greifen Clips der fiktiven Familie Heidmann auf teilweise humorvolle Weise Facetten des modernen Rechtsextremismus auf - und warnen davor.