Literatur will in der digitalen Ära neu erzählt werden
Frankfurt (dpa) - Ein Klassiker der amerikanischen Literaturgeschichte wird neu erzählt: „Wir haben den "Großen Gatsby" von Francis Scott Fitzgerald in die Sprache der Computerspiele übersetzt“, sagt der New Yorker Peter Smith.
Zusammen mit dem Programmierer Charlie Hoey hat er den gesellschaftskritischen Roman aus dem New York der 1920er Jahre in die Form eines nostalgisch gestalteten Jump'n'run-Spiels (Springen und Rennen) gebracht, wie beide auf der Frankfurter Buchmesse demonstrieren. „Wir hatten kein Geld und wir hatten keinen Plan, aber wir haben gemerkt, dass viele andere auch Spaß an den Einfällen hatten, über die wir gelacht haben.“
Für die Veranstalter der Frankfurter Buchmesse ist dies ein Beispiel für ganz neue Möglichkeiten, die sich der Literatur in der digitalen Ära bieten - jenseits von E-Books, die lediglich den Inhalt traditioneller Bücher in einer digitalen Verpackung präsentieren. „Wir wollen Grenzen überschreiten und die Wege des Geschichtenerzählens verändern“, sagt Buchmessen-Direktor Jürgen Boos. Schriftsteller wie James Joyce hätten heute den Bewusstseinsstrom eines Romans wie „Ulysses“ ganz anders abgebildet, vielleicht auch einen linearen Romanfaden ausgerollt, aber gleichzeitig die Möglichkeiten der Kunst im Internet genutzt.
Bisher habe die Branche gebannt auf die Technologie geschaut, sagt Boos im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. „Inzwischen hat sie gemerkt, dass die Technologie ein alter Hut ist, das gibt es ja an jeder Ecke. Aber jetzt können wir uns endlich auf die Geschichten wieder konzentrieren und diese neu erzählen oder anders lesen.“
Einer dieser neuen Geschichtenerzähler ist Martin Ganteföhr, der Computerspiele wie „The Moment of Silence“ und „Overclocked“ entwickelt hat. Auf der Buchmessen-Medienkonferenz „StoryDrive“ gibt er einen Einblick in seine Erzählerwerkstatt. Herkömmliche Crossmedia-Produktionen, so betont Ganteföhr, seien für ihn nicht mehr interessant. Hier gehe es nur darum, im Interesse einer Umsatzsteigerung ein Computerspiel zu einem Film oder einem Buch zu addieren - ohne die Möglichkeit kreativer Neuschöpfung.
Für die neuen Wege des „Storytellings“, also des Erzählens von Geschichten, steht das Schlagwort „Transmedia“: Unterschiedliche Medien werden hier so miteinander verknüpft, dass sich die Lese-, Hör-, Seh- und sonstigen Erfahrungen ergänzen. Wie das gehen kann, zeigt das Projekt „Flying Sparks - High Flyers“ in Zusammenarbeit mit dem Berliner Unternehmen Newthinking Communications. Das Autoren- und Entwicklerteam stellt in Frankfurt ein „Transmedia-Manifest“ vor, zusammen mit der Umsetzung in Form einer erotischen Geschichte, die Fiktion und Realität miteinander verschränkt.
„Wir befinden uns nun am Rande eines Quantensprungs“, erklären die acht Kreativen. Die klassische Rollenverteilung der Literatur zwischen Autor und Leser scheint hier aufgehoben - im Netz ist jeder ein „Experiencer“, jemand, der sich den Medien aussetzt und diese auf eigene Weise erfährt. Jeder ist zu persönlichen Beiträgen eingeladen, zur Interaktion mit anderen Nutzern oder auch mit fiktiven Charakteren einer Geschichte, die mit Text, Hörbuch, Sozialem Netzwerk oder mobiler App ganz unterschiedliche Einstiegspunkte bietet. So wird „die ganze Welt zu unserer Bühne“, wie es Kristian Costa-Zahn formuliert, und tendenziell lässt sich diese Art von nichtlinearer Literatur auch endlos fortsetzen.
Die Literatur der Zukunft verabschiedet sich von der Vorstellung, dass ein Buch aus Seiten besteht, die eine nach der anderen umgeblättert werden. Künftig werde es nur noch um Sequenzen einer Geschichte und um verschiedene Ebenen gehen, die übereinandergelegt werden wie in einem Bildbearbeitungsprogramm, erklärt Bronson Lingamfelter von der US-Firma ComiXology, die Comic-Inhalte auf mobile Geräte bringt. Auch das bewegte Bild inspiriert kreative Köpfe wie den Schauspieler und Schriftsteller Rupert Everett, der auf der Frankfurter Konferenz sein Filmprojekt über die letzten Lebensjahre von Oscar Wilde vorstellt.
Er habe kein Problem mit traditionellen Büchern, sagt der amerikanische Buchautor und Blogger Gabe Zichermann. „Aber sie sind langweilig, weil sich ihre Erzählweise zu langsam bewegt.“ Zichermann ist Vordenker einer kreativen Richtung, die mit dem Schlagwort „Gamification“ bezeichnet wird. Dabei geht es nach der Definition Zichermanns darum, „die Logik und Mechanik von Computerspielen“ in anderen Publikationen gezielt einzusetzen, um mehr Aufmerksamkeit zu gewinnen. Er denke aber nicht, dass man versuchen sollte, Elemente von Computerspielen in Büchern zu verwenden.
„Warum kümmern wir uns darum, ob das Buch in seiner jetzigen Form erhalten bleibt?“ fragt Zichermann im dpa-Gespräch. Wenn man sich an ein älteres Publikum wende und eine lineare Geschichte zu erzählen habe, sei das Buch das richtige Medium. Bei nichtlinearen Geschichten für ein jüngeres Publikum gebe es aber bessere Formen. „Das Buch war zu seiner Zeit die beste technische Lösung für die Vermittlung von Geschichten. Jetzt können wir diese Form behalten, müssen es aber nicht.“