Internet-Konferenz Re:publica: Die vielen Facetten der virtuellen Realität

Berlin (dpa) - Der Hype um virtual Reality ist tot - es lebe virtual Reality. Auch die re:publica in Berlin beleuchtet die Technologie wieder in zahlreichen Vorträgen und Präsentationen.

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Während schon manche Branchenbeobachter die ersten Abgesänge anstimmen, gibt es in der Berliner Station einiges Neues zu sehen. Der WDR bewirbt zum Beispiel seinen virtuellen Spaziergang durch den Kölner Dom als Ereignis, das man so noch nicht erlebt habe. Auf der virtuellen Tour, die für den Grimme Online Award nominiert ist und auch auf der Internet-Konferenz unternommen werden kann, erleben Nutzer über die Datenbrille ein exklusives Chorkonzert mit und können den Restauratoren im Dom bei der Arbeit zuschauen.

Microsoft zeigt in Berlin neue Anwendungen für sein Hololens-System, bei dem der Nutzer nicht komplett in eine virtuelle Welt eintaucht, sondern künstliche Gegenstände in seine reale Umgebung eingeblendet bekommt. Das Headset ist seit der ersten Version vor wenigen Jahren um ein Vielfaches geschrumpft, beherbergt aber dennoch die vollständige Rechenpower in seinem Gehäuse. Das System lässt sich über eingeblendete Menüs mit Gesten steuern und zeigt etwa die dreidimensionale Darstellung eines Flugzeugs, das man betreten und inspizieren kann, oder projiziert das Sonnensystem in den Raum.

Im Jahr 2016 war virtuelle Realität in aller Munde. Marktbeobachter sagten der Technologie für das Jahr den Durchbruch voraus. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe ausgereifter Headsets und mobiler Brillen zum Eintauchen in virtuelle Welten. Doch vom Massenmarkt sind viele Lösungen noch weit entfernt. Gerade einmal zwei Millionen Exemplare von der Oculus Rift, der HTC Vive und der Playstation VR seien bislang verkauft worden, sagte Luca Caracciolo, Chefredakteur des Magazins „t3n“, am Dienstag. Und noch immer gebe es keine „Killer-App“, die der Technologie den Weg wirklich in den Massenmarkt ebnen könnte.

Während die Spieleindustrie lange Zeit als wesentlicher und maßgeblicher Treiber für VR gesehen wurde, gibt es inzwischen immer mehr Anwendungen in vielen anderen Bereichen, etwa für die berufliche Ausbildung oder zum Beispiel für den Handel. Der Elektronik-Markt Saturn zeigt in dieser Woche in seiner Filiale am Berliner Alexanderplatz eine Einkaufstour mit Microsofts Hololens. Kunden können dort auf „HoloTour“ gehen und sich von der virtuellen Figur Paula einige Highlight-Produkte in dem Geschäft zeigen lassen.

Auf der re:publica berichtete auch Grace Boyle, Direktorin von „The Feelies“, von ihrem Projekt eines ersten öffentlichen Kinos, das die virtuelle Welt mit zahlreichen Sensoren um weitere Sinneseindrücke erweitert. Gemeinsam mit der Umweltorganisation Greenpeace arbeitet sie an einer Geschichte, um das Herz des Regenwaldes am Amazonas virtuell und mit allen Sinnen erlebbar zu machen.

Doch ist das schon der Durchbruch für die eigentlich schon relativ alte Technologie? Oder gibt es vielleicht gar kein so großes, überschwängliches Interesse an den virtuellen Welten, wie viele Marktbeobachter vermuten? „Wir befinden uns noch in der „Pong“-Phase von virtual reality“, sagte einmal Nolan Bushnell, Gründer von Atari mit Verweis auf das legendäre Atari-Spiel aus den Anfangsjahren der Videospiele in den 70er Jahren. „t3n“-Chefredakteur Caracciolo ist davon überzeugt, dass man das Zukunftspotenzial nur verstehen kann, wenn man eine Reise in die Vergangenheit und den Blick über den Tellerrand wagt.

Auf der re:publica nahm Caracciolo sein Publikum mit auf eine kleine Reise durch Psychologie, Philosophie und andere Disziplinen, um das Potenzial zu ergründen. Sein Fazit: „Der Hang zu virtuellen Welten ist eine urmenschliche Eigenschaft.“ Virtuelle Realität beginne in den Köpfen der Menschen und brauche zunächst eigentlich kein Equipment. Forscher hätten zum Beispiel herausgefunden, dass Menschen bis zu 2000 Mal am Tag aus der Realität aussteigen und in eine Art Tagtraum abgleiten. „Wir können gleichzeitig an zwei Orten sein.“

Trotz der Künstlichkeit mancher virtueller Welten hätten diese eine enorme Wirkung auf die Nutzer, sagte Caracciolo. Als Beispiel zeigte er die Demo eines virtuellen Gangs auf ein schmales Brett hoch über einer Stadt mit Wolkenkratzern, um eine dort sitzende Katze zu bergen. Vielen Menschen mit VR-Headset war es dabei nicht möglich, die entscheidenden Schritte zu tun, obwohl sie wussten, dass die Szene nur virtuell war.

Möglicherweise wird sich das ganze Potenzial von Virtual Reality erst in ganz kleinen Schritten über die nächsten Jahre zeigen. Im Jahr 2040 werden die Menschen nach Einschätzung von Caracciolo selbst entscheiden können, in welcher Realität sie sein wollen. Bis dahin sei es aber noch ein langer Weg mit vielen technischen Herausforderungen. Aber: Auch wenn der Markt für entsprechende Lösungen heute noch klein sei, müsse man „dran bleiben“.