re:publica: Empörte Netz-Community wird radikaler
Berlin (dpa) - Ein Jahr nach den ersten Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden suchen die Netzaktivisten eine Antwort auf den NSA-Skandal. Orientierung will die Konferenz re:publica geben. Dort wird für Aktionen und Software zum Schutz gegen Überwachung geworben.
Militante Töne auf der Netzkonferenz re:publica (6. bis 8. Mai): Kampf gegen kriminelle Geheimdienste, Sabotage, radikale Aktionen sind Stichworte auf dem ersten Tag des Treffens in Berlin. Die Internet-Aktivisten fühlen sich angegriffen. Ihr Lebensraum im Netz ist bedroht. Für seine Verteidigung ziehen manche der 6000 Konferenzteilnehmer auch Aktionen am Rande der Legalität in Betracht.
„Wir gehen mit Kommunikations-Guerilla in existierende Machtkörper hinein, um ihre Realität zu demaskieren“, sagt Jean Peters von der Berliner Aktionsgruppe „Peng Collective“ im Anschluss an einen Workshop unter dem Motto „Zeit für Sabotage!". Die Gruppe sprengte im Dezember vergangenen Jahres eine Veranstaltung des Mineralölkonzerns Shell, für deren Teilnahme sie sich unter falschem Namen erfolgreich im Internet beworben hatte. „Wir brauchen eine Art Greenpeace der digitalen Menschenrechte mit Leuten, die sich an Server anketten“, sagt Peters. Vielen Menschen sei gar nicht bewusst, was alles möglich sei.
In den USA haben das „The Yes Men“ vorgemacht. Sie bekommen die Bühne für den ersten Hauptauftritt der Konferenz und werben für Aktionen, die nicht nur auf Facebook und Twitter Wellen schlagen, sondern in die politische Realität eingreifen. Zu den Waffen der Aktivisten gehören „Hoaxes“, Fälschungen wie eine vermeintliche Pressekonferenz der US-Handelskammer mit dem Ziel, deren ablehnende Haltung zum Klimaschutz zu attackieren. Jetzt entwickeln sie eine Plattform für die internationale Vernetzung zu gemeinsamen Aktionen, ein „Action Switchboard“.
Hauptgegner am ersten Tag der re:publica sind die „kriminell agierenden Geheimdienste, die uns einfach mal das Netz entrissen haben“, wie es re:publica-Mitbegründer Markus Beckedahl formuliert. „Wir sind empört. Es ist unser Netz, lasst es uns gemeinsam zurück erkämpfen!“
Der große Held der re:publica ist Edward Snowden mit seinen Enthüllungen zur Überwachungspraxis des US-Geheimdienstes NSA. „Alle Staaten spähen Bürger aus“, sagt die britische Wikileaks-Aktivistin Sarah Harrison, die Snowden im vergangenen Jahr von Hongkong nach Moskau begleitet hat. „Was bei den USA anders ist, ist das riesige Ausmaß, mit der Fähigkeit, all die Informationen zu sehr niedrigen Kosten zu speichern.“
Die Übermacht der staatlichen Gegenspieler wird realistisch betrachtet: Harrison lebt seit November 2013 in Berlin, weil sie in Großbritannien ihre Festnahme fürchtet. Eine überzeugende Antwort darauf gebe es noch nicht, sagt Konferenzteilnehmer Stephan Urbach. „Manchmal muss man sich einfach eingestehen, dass man gerade machtlos ist“, sagt er. „Wir stehen vor einem Problem, dass wir in Europa gar nicht lösen können.“
Orientierung gibt das Internet selbst, dezentral und umfassend vernetzt. Der weißrussische Publizist Evgeny Morozov ruft die Netzaktivisten auf, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Die digitale Welt sei nicht vom übrigen Alltag getrennt: „Es ist nicht möglich, und ich denke auch nicht erstrebenswert, eine Bewegung nur auf digitalen Themen zu begründen.“ Aktivisten müssten sich besser vernetzen, um gegen die Macht von Staaten und Unternehmen anzugehen.
In diesem Widerstand hofft die Konferenz auf digitale Technik. Verfügbare Werkzeuge wie die Anonymisierungstechnik Tor sind oft nicht einfach zu benutzen - daher schrecken viele auch vor dem Einsatz des Verschlüsselungsprogramms PGP zum Schutz von E-Mails und anderen vertraulichen Daten zurück. „Wenn ein Toaster eine Millionen Funktionen hätte, würde ich mir wohl nie einen Toast machen“, sagt die US-Aktivistin Jillian York. Der in Berlin lebende US-Entwickler Jacob Appelbaum wirbt daher für die kreative Neugestaltung von Software: „Geheimdienste haben Angst vor einfach einsetzbaren, sicheren Kommunikationswerkzeugen.“