Soziale Netzwerke: Einfach mal abschalten
Facebook, StudiVZ oder Wer-kennt-wen: Für viele ist eine Welt ohne soziale Netzwerke kaum mehr vorstellbar. Andere üben sich darin, wenigstens zeitweise offline zu gehen. Von Segen und Fluch.
Düsseldorf. Sie hat es einfach getan. Sie hat den virtuellen Stecker gezogen und sich sofort besser gefühlt: Sarah M. hat sich von allen sozialen Netzwerken im Internet, bei denen sie Mitglied war, abgemeldet. Auf Nimmerwiedersehen Facebook, StudiVZ und Wer-kennt-wen.
„Es musste sein“, sagt die Düsseldorfer Studentin. „Meine Freizeit bestand nur noch aus sinnlosem Surfen im Netz. Gucken, was meine Freunde gepostet haben, selbst Blödsinn gepostet, Bilder hochgeladen, Bilder von anderen angesehen, gehofft, dass möglichst vielen mein Zeug gefällt — es war wie ein Wettrennen“, erzählt Sarah. „Das kam mir irgendwann alles so sinnlos vor.“
Mehr als 400 sogenannter Freunde hatte Sarah bei Facebook. „Manche davon habe ich nur einmal in meinem Leben gesehen“, sagt sie.
Die 24-Jährige gehört zu denen, die die Virtualität wieder gegen die Realität tauschen wollen, wie sie sagt. Wie groß diese Gruppe ist, kann man schwer schätzen. Facebook etwa gibt zwar gern Auskunft über die Anzahl seiner Mitglieder: angeblich 800 Millionen weltweit, 20 Millionen in Deutschland.
Über Abtrünnige aber gibt Facebook nicht ganz so gern Auskunft: „Mit Zahlen zu Kontolöschungen oder Deaktivierungen können wir Ihnen leider nicht dienen, da Facebook dazu keine Statistiken veröffentlicht.“
Leicht macht das soziale Netzwerk seinen müden Nutzern den Ausstieg nicht: Die Funktion, mit der man sein Profil deaktivieren oder komplett löschen kann, ist gut versteckt. Und auch die Umwelt macht es vielen schwer, die sich abwenden wollen: Die Nachrichtenfunktion bei Facebook hat vielerorts längst E-Mail, Anruf oder SMS abgelöst.
„Wenn sich meine Kommilitonen verabreden, muss ich jetzt darauf hoffen, dass mich jemand anruft“, sagt Sarah, „sonst bekomme ich nichts mehr davon mit.“ Bereut hat sie ihren Schritt trotzdem nicht. Dass ihre Bekannten mit Unverständnis reagiert haben, ärgert sie. „Wo leben wir denn bitte?“
Diese Frage stellen sich augenscheinlich immer mehr. Auf der Internetseite ausgestiegen.com erzählen Menschen, warum sie sich bei Facebook abgemeldet haben. Er sei ausgestiegen, „weil mich die Oberflächlichkeit der Leute anwidert“, schreibt dort Michael. „Ernsthafte und zum Nachdenken anregende Sachen sind unerwünscht und werden ignoriert. Dümmliche Spaßgesellschaft!“ Anna will sich nicht mehr „von Mark Zuckerberg oder sonst wem kontrollieren lassen“.
Einer, der probehalber den Stecker gezogen hat, ist der Journalist Christoph Koch. In seinem Buch „Ich bin dann mal offline“ schildert er, wie es sich 40 Tage ohne Internet und Handy lebt: wider Erwarten gar nicht so schlecht. „Eigentlich bin ich sehr internet-affin“, sagt er. „Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, dass das Netz von einer Neben- zur Hauptsache geworden war und unheimlich viel Zeit gefressen hat.“
Statt nur mal eben eine wichtige Überweisung zu tätigen, saß Koch regelmäßig stundenlang am Rechner und surfte von Seite zu Seite, oft ziellos. Sein „Offline-Experiment“ hat seinen Umgang mit dem Internet indes verändert: Heute nimmt er sich Auszeiten, checkt nicht mehr gleich nach dem Aufstehen seine E-Mails und nutzt die vielen Vorteile des Internets gezielt, ohne sich gleich darin zu verlieren.
Für Menschen, die glauben, sich solche Grenzen allein nicht setzen zu können, bietet das Internet auch Hilfe an. Die Applikation macfreedom.com kappt die Internetverbindung für eine Zeit von bis zu acht Stunden täglich, der Zeitraum ist frei wählbar. Für Menschen, die sich häufiger in den Weiten des Netzes verirren, ein Segen.
Wer sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder LinkedIn endgültig entsagen will, kann sich Hilfe bei der „Web 2.0 Suicide Machine“ („Selbstmordmaschine“) holen.
Einen so harten Schnitt zieht Christoph Koch für sich nicht in Betracht. „Der Mensch ist ein soziales Wesen und will ja irgendwie mitbekommen, was so passiert“, sagt er. „Und wenn sich das heutzutage eben bei Facebook abspielt, ist das so.“ Es komme immer auf den Anspruch an. Koch vergleicht Facebook mit Fernsehen: „Es bringt Ablenkung und Spaß und hat irgendwie Zerstreuungscharakter.“
Unterm Strich ist das Web 2.0 für ihn eher Segen als Fluch. Für Sarah M. ist es genau umgekehrt.