„Steile These“: Smartphone-Gesten sind angeboren

Frankfurt/Main (dpa) - Seit Computer und Telefone durch Tippen, Wischen und Ziehen bedient werden, legen die Menschen die Dinger kaum noch aus der Hand. Warum sind Touchscreens so erfolgreich? Ein Frankfurter Forscher hat dazu eine These.

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Sie ist überraschend.

Das Kind trägt noch Windeln, aber die Fotos auf Papas Smartphone findet es sofort. Wer je beobachtet hat, wie schnell und wie früh Kleinkinder einen Touchscreen bedienen können, dem dürfte diese Idee spontan einleuchten: Die Steuerungsgesten sind quasi angeboren. Mit den gleichen Handgriffen matschen Babys mit Begeisterung im Brei, behauptet Prof. Georg Peez.

Der 53-Jährige ist kein Technik-Experte, er ist Kunstpädagoge. Eigentlich beschäftigt er sich mit der Frage, wie Kinder malen lernen. 2011 veröffentlichte er eine Studie, die sauberkeitsliebende Eltern nicht glücklich macht: Der erste Schritt auf dem Weg zum potenziellen Picasso ist das Verschmieren von Essensresten auf dem Tisch. „Noch bevor das Kleinkind einen Stift hält, kann es schmieren“, sagt Peez.

Dabei, so seine Beobachtung, laufen immer die gleichen Bewegungsmuster. Erstens: vorsichtige Kontaktaufnahme mit einem Finger. Zweitens: der Versuch, das Essen mit zwei Fingern zum Mund zu führen („Pinzettengriff“). Drittens: entschlossenes Hin- und Herbewegen. Wenn das Kind mit etwa einem Jahr anfängt, mit Wachsmalkreiden zu hantieren, greift es auf genau diese Bewegungsmuster zurück, es malt zuerst Punkte und Bögen.

„Die beobachteten Bewegungsmuster korrespondieren mit den Grundbewegungen, die wir auf dem Touchscreen ausführen“, schreibt Peez nun in einem (unveröffentlichten) Beitrag für „Forschung Frankfurt“: Antippen zum Aktivieren, Pinzettengriff zum Zoomen, Wischen zum Scrollen. „Dieser Befund erklärt, weshalb wir für die Benutzung eines Tablet-Computers kein dickes Handbuch benötigen.“

Diese Gesten gehörten zu unseren frühesten Erfahrungen, sie sind „im Gehirn fest verankert“, schreibt Peez. Die Handgriffe knüpften „an die frühesten Erfahrungen und die elementarsten Formen der Kopplung des Gehirns mit dem motorischen System“.

Das glaubt auch der Münchner Kinderneurologe Florian Heinen. Im Mai 2013 veröffentlichte er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen Gastbeitrag, in dem er schrieb, der Zeigefinger sei „die schnellste Verbindung zwischen Information und Hirn“. Die Bewegung des Zeigefingers sei „ganz nah am Gehirn dran“.

Tobias Limbach findet Peez' Artikel „hoch interessant“, wenn auch „eine steile These“. Er ist Manager bei der Beratungsfirma User Interface Design (UID), die sich mit Benutzerfreundlichkeit beschäftigt. In der Studie „Weltweit berührt“ hat UID Menschen in neun Ländern befragt, was für sie „natürliche Gesten“ für die Computersteuerung wären. Ergebnis: „Die Handbewegungen waren in allen Ländern gleich.“

Wer den Touchscreen eigentlich erfunden hat, darüber streiten sich die Hersteller. Unstrittig ist, wer ihn populär gemacht hat: Apple und das erste iPhone 2007. Zuvor war die Technik auf Nischenprodukte beschränkt, aber fester Bestandteil von Science-Fiction-Filmen. Technisch brachte „Multitouch“ den Durchbruch: Das Display reagiert nicht nur auf einen Punkt wie bei einem Fahrkartenautomaten, sondern auf mehrere. Dadurch kann es eine Handbewegung interpretieren.

Wie tief Tippen, Wischen und Pinzettengriff sich in unser Hirn gegraben haben, kann man an Kleinkindern beobachten. Sie haben nicht nur den Tablet-Rechner sofort im Griff, sie schießen auch mal über das Ziel hinaus - etwa wenn sie versuchen, den Fisch im Aquarium zu vergrößern, indem sie auf der Scheibe drei Finger auseinanderziehen.