Shitstorm nach dem Auschwitz-Gedenken Twitter-Zoff um Merz und den angeblich importierten Antisemitismus

Düsseldorf · CDU-Politiker Friedrich Merz macht die Zuwanderung maßgeblich mitverantwortlich für Judenhass. Darf und sollte er das?

Friedrich Merz (CDU) sieht in der Zuwanderung einen Grund für den neu aufflammenden Antisemitismus. Zahlen bestätigen das nicht.

Foto: dpa/Angelika Warmuth

CDU-Politiker Friedrich Merz ist dafür bekannt, zu polarisieren. Das konnte er in dieser Woche auch zum 75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung nicht lassen. Auf Twitter machte er den jüngsten Flüchtlingsstrom mitverantwortlich für ein neues  Aufflammen des Antisemitismus in Deutschland – und erntete harsche Kritik. Viele finden, das hätte er zu diesem Anlass nicht so sagen sollen. Vor allem aber gibt es keine Zahlen, die seine steile These untermauern könnten.

Der Antisemitismus 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz komme „überwiegend von rechts“, schreibt Merz, „aber auch durch die Einwanderung von 2015/16. Viele bringen Judenhass mit, der in ihren Heimatländern gepredigt wird.“ Zuvor hatte sich bereits CDU-Innenexperte Philipp Amthor im Fernsehen ähnlich geäußert. Beide treten mit diesen Äußerungen einen Shitstorm im Internet los. Dennoch bekräftigt Merz später, er stehe zu seinen Worten. Und er erfährt ja auch Bekräftigung mit dem Tenor: Hat er doch Recht, der Herr Merz.

Aber hat er? Laut Zahlen aus dem „Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität“, die unserer Zeitung vorliegen, machen Ausländer einen marginalen Anteil an den Tatverdächtigen bei antisemitischen Straftaten aus – und zwar vor wie nach der Zuwanderungswelle von 2015: 2011 wurden 1188 Taten Rechtsextremisten zugeordnet, 24 Ausländern, 2017 lag dieses Verhältnis bei 1412 zu 41. Die aktuellste Zahl für NRW bezieht sich auf die erste Jahreshälfte 2019: Da finden sich 86 antisemitische Taten durch Rechtsextremisten und lediglich eine durch Ausländer.

NRW-Innenminister Reul: „Erst vor eigener Haustür kehren“

Angesichts dieses Zahlenverhältnisses bekommt Merz für seine Äußerungen sogar Gegenwind aus der eigenen Partei. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagt gegenüber dieser Zeitung: „Natürlich haben wir auch ein Problem mit Antisemitismus bei Zuwanderern. Aber das kann keine Entschuldigung für den bedenklich wachsenden Antisemitismus bei Deutschen sein. Ich empfehle uns, gerade bei diesem Thema erst einmal vor unserer eigenen Haustüre zu kehren.“

Deutlich weiter geht auf Anfrage Sebastian Hartmann, Chef der NRW-Sozialdemokraten: Amthor und Merz bedienten „rechte Rhetorik mit ihrer Überbetonung der Klischees der ,muslimisch geprägten Kulturkreise’. In den Tagen des Gedenkens an die Befreiung von Auschwitz sind solche Beiträge geschmacklos und unangemessen.“ Natürlich stimme: „Wenn schon Kindern Judenhass in Familien und mit Schulbüchern eingeimpft wird, dann endet dieser Hass nicht mit Überschreiten der Grenzen.“ Hartmann gibt aber zu bedenken, dass islamischer Antisemitismus auch in Deutschland selbst gewachsen sei: „Jede Relativierung der antisemitischen Gewalt und Überziehung einzelner Ursachen oder Tätergruppen verbietet sich jedoch. Für den Großteil der antisemitischen Straftaten in Deutschland sind Rechtsradikale verantwortlich.“

Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag, wirft Merz angesichts der Statistiken „Fake News“ vor: „Damit segelt Merz bewusst verdammt nah in Richtung rechter Verschwörungstheorien. Für meinen Geschmack zu nah“, sagte er unserer Zeitung. Verena Schäffer, innenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion, zeigte sich „irritiert“ von Merz’ Tweet ausgerechnet am Tag des Auschwitz-Gedenkens: „Antisemitismus muss selbstverständlich in all seinen Facetten bekämpft werden, er darf jedoch nicht dafür herangezogen werden, Minderheiten gegeneinander auszuspielen.“