Kempen. Kempens Marktwirtschaft war Spitze

Kempen. · Das mittelalterliche Kempen verdankte seinen Wohlstand einer gezielten Förderung durch seine Landesherren, die Kurfürsten von Köln. Die verliehen der Stadt im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Privilegien. Vor allem die sieben Märkte, die sie gewährten, brachten Geld in den Ort und förderten Handwerk und Handel.

Der Kempener Wochenmarkt – im Bild der Stand von Gregor Heynen – geht auf ein Privileg des Kölner Kurfürsten aus dem Jahre 1372 zurück.

Foto: Wolfgang Kaiser

Stellen wir uns vor, wir schrieben das Jahr 1400 und stünden auf dem Marktplatz der Stadt Kempen. Es ist der größte Markt weit und breit – kein anderer Ort in der Nachbarschaft hat ein vergleichbares Warenangebot. Ein Verkaufsstand reiht sich an den anderen. Es riecht nach flüssigem Wachs, nach Schafwolle und feuchtem Leder. Hier wird selbst gewebtes Leinen verkauft, da bietet ein Schmied eiserne Kessel und Axtklingen an. An einer Stange hat eine alte Frau lebende Hühner an den Füßen aufgehängt; das Federvieh hängt benommen mit den Köpfen nach unten, hat es längst aufgegeben, mit den Flügeln zu schlagen und wird von den Kunden schön frisch zum Schlachten nach Hause getragen. Ein Bauer aus der Honschaft Schmalbroich hält in einem provisorischen Verschlag Kälber feil, dicht aneinander gedrängt.

Aus den westfälischen Salinen von Unna und Werl, wo aus unterirdischen Ablagerungen Salz gewonnen wird, hat ein fahrender Händler Beutel mit den kostbaren Kristallen mitgebracht. Das „weiße Gold“ dient der Konservierung und Geschmacksverbesserung von Fleisch und Fisch. Gewürze wie Pfeffer und Zimt, uns heute selbstverständlich, kommen selten auf den hiesigen Markt. Damals werden sie durch arabische Händler aus Indien und China über Venedig nach Europa importiert, werden buchstäblich mit Gold aufgewogen. Auf einem Schemel sitzt ein Holzschuhmacher und schnitzt aus weichem Pappelholz Klumpen – die sind das alltägliche Schuhwerk der Kempener. Ein Gaukler aus dem Königreich Böhmen führt seinen Tanzbären vor. Auf seiner Trommel schlägt er einen bestimmten Takt. Das Tier hebt die Füße dazu. Jeder weiß, wie es dressiert worden ist: Auf einer heißen Metallplatte hat es stehen müssen, während dieser Trommelklang ertönte. Seither ist es traumatisiert und hebt in der Erinnerung an die Qual damals die Füße. Die Umstehenden lachen. Mitgefühl ist selten im Mittelalter, denn damals ist das Leben hart, und Schmerzen sind alltäglich.

Es sind seine Märkte gewesen, die das mittelalterliche Kempen zu einem Handelsplatz für die ganze Region gemacht und ihm zu Wohlstand und Einfluss verholfen haben. Die Markt-Tradition setzt früh ein. Als der Ort noch ein Dorf war, dürfte vor seiner Kirche, um 1200 erbaut, nach dem Gottesdienst ein erster Warenaustausch stattgefunden haben. Anbieter dafür gab es genug. Handwerker und Gewerbetreibende sind in Kempen schon früh bezeugt. 1294 ist von Metzgern, Bäckern und Krämern die Rede, wenige Jahrzehnte später von Zimmerleuten, Schmieden und Baumeistern, von Holzschuhmachern, Gerbern, Webern und Schneidern. 1342 ist eine Wollweberei überliefert, 1354 hören wir von Verkaufsständen für Fleisch auf dem Kempener Markt.

Bald organisieren sich die Kempener Handwerker in Zünften – in Berufsverbänden, die für ihre Produkte Herstellungsmengen und Preise festlegen und die Qualität ihrer Erzeugnisse regelmäßig von Zunftvorstehern überprüfen lassen. So sichern die einzelnen Zunftmitglieder sich ihr gutes Auskommen und verhindern untereinander Konkurrenz. Sie halten aber zäh auch an ihren überkommenen Arbeitsmethoden fest und erschweren damit Innovationen in Herstellung und Angebot. In Kempen hat es neun Zünfte gegeben. „Zünftig“ sagen wir heute noch, wenn wir „fachmännisch“ oder „ordentlich“ meinen.

Die Tüchtigkeit seiner zahlreichen Handwerker und Kaufleute hat Kempen bald zu einem wichtigen Handelsplatz gemacht. Ein zweiter Faktor kam hinzu: Die Befestigung, die die Stadt sich von 1320 bis 1370 zugelegt hatte. Sie machte den Ort zu einem sicheren Platz, in dem sich in Ruhe und Frieden Handel treiben ließ. Kurz nach der Fertigstellung des Mauerrings, am 17. Juli 1372, gewährte der Landesherr, der Erzbischof Friedrich von Saarwerden, der Stadt einen siebentägigen Jahrmarkt zum Jakobstag am 25. Juli, der am 22. Juli begann und am 28. zu Ende war.

Im Jahre 1444 erfahren wir, dass es damals außer dem Markt zum St. Jakobstag fünf weitere Jahrmärkte gegeben hat: den Markt am Tage des heiligen Lambert (17. September); den am Hubertustag, am 3. November; schließlich die Märkte am Fest des heiligen Apostels Thomas (21. Dezember), am ersten Dienstag im Juni und am Dienstag vor Halbfasten. Zwei dieser Märkte gibt es noch heute: Einmal den Halbfastenmarkt. Pünktlich zum dritten Dienstag in der Fastenzeit, also im Februar oder März, kommen mehr als 200 Händler in der Altstadt zusammen. Stöberer und Sammler finden hier so gut wie alles – von Regenschirmen über Duftöle bis hin zur Senfmühle. Der andere historische Markt, der die Jahrhunderte überdauert hat, ist der Hubertusmarkt. Er soll an die Stadtwerdung Kempens am 3. November 1294 erinnern, er wird aber auch in Gedenken an seinen Namensgeber, den hl. Hubertus von Lüttich, gefeiert. Das Angebot ist vielfältig, reicht von Tischdecken, Kuschelsocken und Küchenzubehör bis zur Adventsdeko aus Naturmaterialien.