Alles, was man nicht sagt

Franka Potente hat ihre ersten Erzählungen geschrieben, die alle in Japan spielen: Rätseln und träumen über eine Kultur.

Frau Potente, im August erscheint Ihr Buch "Zehn Stories". Es ist nach dem Briefwechsel "L.A. - Berlin" und dem Drehbuch für "Der die Tollkirsche ausgräbt" Ihr drittes Werk mit fiktionalem Charakter. Wechseln Sie von der Schauspielerei zur Schreibkunst?

Potente: Nein, ich würde mich nie als Schriftstellerin bezeichnen. Auf der Schauspielschule kann man auch nicht sagen, man sei Schauspieler. Eher Schauspielschüler. Vielleicht bin ich Autorenschülerin. Neu war, dass es diesmal ein total einsamer Prozess war, ohne Austausch, denn ich war zum Zeitpunkt der Entstehung der Erzählungen viel in Amerika und Südafrika.

Aber sämtliche Geschichten spielen in Japan. Warum?

Potente: Bevor ich 2005 zum ersten Mal dort war, hat mich Japan schon vom Hörensagen fasziniert. Was ich von diesem ersten Besuch mitnahm, war der Gegensatz zwischen kakophonischem Chaos und totaler Stille. Im Jahr darauf war ich mit einem japanischen Freund erneut dort, wohnte bei Japanern und war nur von Japanern umgeben.

Gab es eine Art Initialzündung für die Geschichten?

Potente: In Japan geht es viel mehr um die Sachen, die nicht gesagt werden, als um die ausgesprochenen. Die Feinheiten liegen im Nonverbalen. Als Außenstehender erfasst man diese Dynamiken nicht. Ich beobachtete und entzifferte ständig: Wieso macht der dies und das jetzt? Weil das nicht direkt kommuniziert wird, muss man die Geschichten dazu raten. Das Buch besteht aus diesen Zwischenräumen. Die ich dann angefüllt habe - mit Geschichten.

Wie sind Sie an die Sache herangegangen?

Potente: Anfangs hatte ich das Gefühl, das Buch müsse sich fast von selber schreiben, weil die Eindrücke so stark waren. Ich habe ganz viel von Japan geträumt. Letztendlich habe ich eineinhalb Jahre daran geschrieben.

In einer Geschichte reden die Gäste einer Tischrunde unglaublich lange über eine verzierte Schale.

Potente: Das habe ich selbst erlebt. Der japanische Freund erklärte mir, die Schale sei ein so genanntes "centerpiece". Um die Peinlichkeit zu umgehen, dass einander fremde Menschen nicht wissen, worüber sie miteinander sprechen sollen, platziert der Gastgeber einen Gegenstand, über den alle reden, bis sie entspannt sind.

Gute Idee, aber das klingt alles doch formell.

Potente: Innerhalb ihrer Zeremonien finden die Japaner immer wieder Freiräume. Der japanische Freund hatte, als wir nach Japan kamen, seine Mutter drei Jahre nicht gesehen. Ich erwartete, dass sie sich in den Armen liegen würden. Aber man verbeugte sich nur kurz und sprach wenig. Erst am nächsten Tag bereitete die Mutter dem erwachsenen Sohn ein Bad, hinterher schaute man fern, redete ein bisschen, und sie kochte fantastisch für uns. So wusste er, dass sie sich irrsinnig freute. Wir Europäer empfinden das alles als sehr eng und bedrückend. Umgekehrt finden die Japaner uns unmöglich: Ach die Armen, reden ganz viel und sagen nichts! Mir hat man immer gesagt: Du bist wie ein Samurai, immer hast du im Ansatz das Schwert draußen. Die Japaner finden es lächerlich, wenn jemand seine Energie so unnötig verausgabt.

In Ihren Geschichten sind Europäer und Japaner zuweilen miteinander überfordert. Wie behandeln Japaner Europäer, die ihre Umgangsformen nicht beherrschen?

Potente: Tokio ist so überfordernd, dass man fast wieder zum Kind wird. Man ist dazu verdonnert, dumm und staunend durch die Gegend zu laufen. Da die Japaner sich in Kultur, Mode etc. für weltführend halten, reagieren sie sehr nachsichtig. Der Europäer kann keinen Schaden anrichten, er kommt ja nicht wirklich in ihre Gemeinschaft hinein.

Ihr Fazit?

Potente: Uns fällt es ja schwer, darauf zu vertrauen, dass es nonverbal geht. Es kommt unterm Strich dasselbe dabei heraus. Man muss sich vielleicht ein bisschen mehr Zeit nehmen.