Berliner Lebensgefühl: „Für hier oder zum Mitnehmen“

Berlin (dpa) - Von Ansgar Oberholz (40) kann man lernen, wie eine Geisteraustreibung im Café funktioniert. Oder dass es keine gute Idee ist, wenn das Kellner-Personal miteinander ins Bett steigt.

Hübsch ist die Episode, in der Oberholz beschreibt, was sich Securityleute von Schlecker unter der Dusche im Fitnessstudio erzählen. Nur eines wollte der Berliner Gastronom auf keinen Fall: ein Buch über die seit 2006 viel diskutierte „digitale Boheme“. Das sind die Leute, die mit Laptop in seinem Café über Projekten brüten. „Mir war es wichtig, genau darüber nicht zu schreiben“, sagt Oberholz. Er bricht gerne mit Erwartungen.

Sein Roman „Für hier oder zum Mitnehmen“ handelt von den Anfängen des „St. Oberholz“, dem Gastroalltag und den schrägen Typen, die dort aufkreuzten. Das Buch endet, bevor das Café in den Reiseführern landete und wegen seiner Laptop-Dichte berühmt wurde. Heute ist das „Oberholz“ eine gute Adresse, wenn man das Berlin-Mitte von 2012 kennenlernen will. Gäste aus aller Welt sitzen dort hinter leuchtenden Apple-Logos bei Bircher-Müsli und Latte Macchiato.

Man kann ein Klischee über das hippe Berlin suchen: Schauspieler, Regisseure und Künstler bewirten am Tresen Schauspieler, Regisseure und Künstler. Aber auch „Stamm-Obdachlose“ kommen vorbei. Der Ort ist geschichtsträchtig. In dem Eckhaus am Rosenthaler Platz trank schon Alfred Döblin („Berlin Alexanderplatz“) sein Bier.

Zum Interview geht der Chef lieber ins Café gegenüber, da ist es ruhiger. „Ich glaube schon, dass es auch für Leute interessant ist, die nicht aus Berlin kommen“, sagt Oberholz über sein Buch. Für ihn ist es sowohl ein Entwicklungsroman als auch die Geschichte einer Unternehmensgründung.

„Dann mach ich eben ein Café auf“: Den Satz kennt Oberholz zur Genüge. Als ob das so einfach wäre. Der Laden läuft in der ersten Zeit schlecht. Und wie geht man mit Drogensüchtigen und Obdachlosen um? Oberholz lernt, über Grenzen zu entscheiden. Ein Gast nutzt das Café, um dort am Rechner Pornos zu schneiden. Darf er, findet der Chef, nachdem er sich den Mann angeschaut hat.

Figuren und Fakten sind verdichtet. Das Handwerker-Original namens „Klamotte“ und den Koch Shanti gibt es laut Oberholz wirklich. Der Erzähler ist eine Kunstfigur. Im wahren Leben ist der Autor Vater - erst wollte er über Patchworkfamilien schreiben - und kommt aus einer „Kleinstadtsenke“ bei Trier. Bevor er Gastronom wurde, hatte er eine Werbeagentur.

Über das Berliner Lebensgefühl kann Oberholz viel erzählen. Das nächste große Ding? Er sieht eine Phase der Entschleunigung. Und Filterkaffee. Überhaupt: „Kaffee ist in der Nerdszene ein Riesenthema.“ Im „Oberholz“ arbeitet ein Barista, ein Koffein-Zeremonienmeister. Kaffee machen ist eine Wissenschaft für sich. „Allein die Temperatur von Milch - da kannst du Wochenendseminare belegen.“ Oberholz hat Lust auf weitere Bücher. Er träumt davon, dass „Für hier oder zum Mitnehmen“ Schullektüre und verfilmt wird. Am liebsten von Fassbinder als siebenstündiges Remake von „Berlin Alexanderplatz“, sagt er augenzwinkernd.

Ansgar Oberholz:

Für hier oder zum Mitnehmen?

Ullstein Extra, Berlin,

238 Seiten, 14,99 Euro,

ISBN 978-3-86493-009-6