Biografie Denkmal für den besten Freund: Forsters „Grant & ich“
Berlin (dpa) - Es ist der 6. Mai 2006, als Grant McLennan stirbt. Mit nur 48 Jahren, an einem Herzinfarkt. Kurz vor einer Party im eigenen Haus - die ersten Gäste sind schon da. Darunter Robert Forster, sein ältester, bester Freund und Kollege bei der fabelhaften Indie-Band The Go-Betweens.
Forster ist es jetzt, der in einem Kapitel seines Buchs „Grant & ich“ (Heyne Encore) anrührende Worte über diesen seinerzeit die Popwelt schockierenden Todesfall am 6. Mai 2006 findet. Seine Schilderung des Schicksalstages ist große Prosa - wie überhaupt viele Passagen dieser außergewöhnlichen, höchst anspruchsvollen und zugleich spannend lesbaren (Auto-)Biografie.
„Grant hatte keinen Anker. Am Ende der langen Kette, die wir alle hinter uns herziehen, war kein Gewicht, das sein Leben erdete“, schreibt Forster über den zu Depressionen, Alkoholsucht und extremem Liebeskummer neigenden Freund. Oder: „Der begabteste Mensch, den ich jemals kennen werde. Aber er trieb auf dem Rücken, sein Gesicht glückselig zum Himmel, ein Spielball für die Strömungen.“
Bei McLennans Beisetzung hält Forster eine innere Zwiesprache mit dem Toten und stellt fest: „Auch die Go-Betweens wurden beerdigt, das wussten wir beide; niemals aber der Geist der Zusammenarbeit zweier junger Männer, die diese Band gegründet hatten.“ Wer bei solchen Sätzen nicht feuchte Augen bekommt, der wird auch die Musik der Go-Betweens, diesen zwischen intellektueller Sprödigkeit und pulsierender Wärme pendelnden Gitarrenpop, wohl nicht mögen - und daher erst gar nicht zu Forsters Buch greifen.
Rückblende: Drei Jahrzehnte zuvor, im Punk-Jahr 1977, gründen die beiden Studenten und Filmfans The Go-Betweens im australischen Brisbane als Projekt zweier gleichberechtigter, hochbegabter Singer-Songwriter. Obwohl sich McLennan/Forster im Laufe der ersten Bandphase bis 1990 den Ruf erwerben, die Lennon/McCartney des Indiepops zu sein, bleibt ihnen der ganz große Erfolg verwehrt - trotz großartiger Alben wie „Liberty Belle And The Black Diamond Express“ (1986) oder „16 Lovers Lane“ (1988), trotz toller Songs wie „Cattle And Cane“ oder „Streets Of Your Town“.
Forster rekapituliert seine behütete Kindheit und Jugend, die lockere Uni-Zeit, die ersten mühsamen und zugleich euphorischen Musikerjahre mit Grant McLennan in einem humorvollen, oft leicht ironischen, aber niemals bitteren Tonfall. Der gerade 60 gewordene Musiker ist bei aller ihm eigenen noblen Nüchternheit ein wunderbar anschaulicher Erzähler, und er hat viele kluge Sätze im Köcher. Etwa diesen: „Wir erschufen das Romantischste, was zwei heterosexuelle Männer zusammen erschaffen konnten: eine Popgruppe.“
In der ersten Buchhälfte, die The Go-Betweens als stilvoll Scheiternde porträtiert, berichtet Forster mehr von sich als von McLennan - der stille, sensible Freund bleibt wohl auch ihm selbst, dem sprunghaften Dandy, oft rätselhaft. Das ändert sich nach dem Split der Band, als die beiden in den 90er Jahren weitgehend auf sich gestellt sind.
Der Kontakt bleibt erhalten, aber Forster - mittlerweile in einer liebevollen Beziehung mit der Deutschen Karin Bäumler und bald auch Familienvater - muss sich nun Sorgen um den langjährigen Partner machen. Denn McLennan „ließ (...) sich gehen, kleidete sich nachlässiger, trank mehr - ein freier Mann, aber nicht notwendigerweise ein glücklicher“. Später heißt es: „Der Mensch, den ich gekannt hatte, war aus den Fugen geraten und in Schwierigkeiten.“
Dennoch gelingt McLennan mit dem Doppelalbum „Horsebreaker Star“ (1995) in dieser Zeit ein Meisterwerk als Solokünstler. Wie die The Go-Betweens sich im Jahr 2000 wiedervereinigen, bis 2006 drei weitere umjubelte Platten veröffentlichen, immer wieder kurz vor dem Durchbruch stehen - auch das fängt Forster mit großer Fabulierkunst ein. Könnte dies „die am meisten unterschätzte Band der Rockgeschichte“ sein? Forster schreibt selbstbewusst: „Eine gute Frage. Meine Antwort kennen Sie.“
Mit einer gemeinsamen Tournee, bei der McLennan „sich einmal mehr in der Musik verlieren konnte“, versucht der gesetztere der beiden Freunde, den anderen vor seinen Dämonen zu retten. Es gelingt nur zum Teil. Das letzte Konzert ist ein privater Auftritt in Sydney - bei einer Gartenparty der australischen Hollywood-Schauspielerin Cate Blanchett.
Wenig später endet Grant McLennans Leben im Schlaf - und damit auch die Band. „Mach's gut, Kumpel. Ich trage es weiter“, verspricht Robert Forster dem gestorbenen Freund. Mit diesem - von „Rolling Stone“-Redakteur Maik Brüggemeyer sehr einfühlsam übersetzten - Erinnerungsbuch hat er es getan.
Und das nicht zum ersten Mal: Schon vor zehn Jahren nahm Forster einige der letzten McLennan-Kompositionen für sein Soloalbum „The Evangelist“ (2008) auf - es war der perfekte Song-Tribute.
- Robert Forsters Lesungen mit Musik im November: 5.11. Hamburg, Nachtasyl/Thalia-Theater, 6.11. Berlin, Kulturbrauerei Maschinenraum, 7.11. Frankfurt/Main, Brotfabrik, 9.11. Regensburg, Buchhandlung Dombrowsky, 10.11. Köln, King Georg, 11.11. Reutlingen, Vitamin, 28.11. Sulzbach-Rosenberg, Capitol, 29.11. Wien, Akzent Theater.
- Robert Forster: „Grant & ich. Die Go-Betweens und die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft.“ 368 Seiten. Aus dem Englischen von Maik Brüggemeyer. Heyne Encore, 2017. ISBN 978-3-453-27133-3.