Der lustige Herr King: „Call me Steve“
München (dpa) - Als Stephen King seine allererste Lesung in Deutschland beendet, johlt das Publikum. Es gibt riesigen Applaus und Begeisterungsstürme.
Denn vorher hat der US-Amerikaner etwas abgeliefert, was man dem Autor von Schockern wie „Sie“, „Es“, „Friedhof der Kuscheltiere“ oder „Shining“ auf den ersten Blick kaum zugetraut hätte: Sein Auftritt hat streckenweise Standup-Comedy-Qualitäten.
Der Circus Krone ist voll an diesem Dienstagabend, denn es ist ein großer Tag für Horror-Fans. Öffentliche Auftritte von King sind selten, in Deutschland hat es vorher noch nie einen gegeben - von einem Besuch auf dem US-Militärstützpunkt Ramstein am Tag zuvor mal abgesehen. Aber das zählt ja nicht, sagt er selbst. Da gibt es ja auch nur Burger wie zu Hause. Und so sind die Fans des Horror-Königs von weit her angereist nach München. Eine italienische Reisegruppe ist da, die auf einem Plakat, wie man es sonst nur von Rockkonzerten kennt, ihrem König huldigt.
Sie erleben, wie der 66-Jährige Anekdote an Anekdote reiht, John Lennon und Stanley Kubrick parodiert, den Regisseur der inzwischen fast legendären „Shining“-Verfilmung mit Jack Nicholson, und hin und wieder auch philosophisch wird - immer unterhaltsam verpackt und äußerst schlagfertig. „Ob ich mir die Abschaffung des Todes wünschen würde? Naja - dann wäre es ziemlich voll hier“, sagt er zum Beispiel über seine von Literaturkritiker Denis Scheck attestierte Todes-Besessenheit.
„Ich habe eine ganze Generation von Menschen erschaffen, die sich vor Clowns fürchtet“, sagt King - im Circus Krone - in Bezug auf sein Erfolgsbuch „Es“ und fügt mit diabolischem Lächeln hinzu: „Und das ist eine gute Sache.“ Auf die Frage, warum er immer Horrorgeschichten schreibt, meint er kopfschüttelnd: „Als ob ich eine Wahl hätte.“ Er möge Monster. So einfach sei das.
Und als Moderator Scheck ihn nach traumatischen Erlebnissen in seiner Kindheit fragt, kontert er: „Ah, da ist sie wieder: Die höflich verpackte Frage, was mich eigentlich so versaut hat.“ Ein Kindheitstrauma teilt er dann aber doch: „Eine meine frühesten Kindheitserinnerungen ist, dass ich mit meiner Mutter "Bambi" geschaut hab. Man kann über Wes Craven reden oder Freddy Krueger oder welchen Horrorfilme auch immer - keiner ist gruseliger als Disney.“
Ein bisschen ernster wird er, wenn er über sein neues Buch redet, um das es eigentlich geht an diesem Abend. King hat eine Fortsetzung seines Klassikers „Shining“ geschrieben. Der Roman „Doctor Sleep“ erzählt, wie es mit Danny, dem Sohn des verrückten Jack, nach den furchterregenden Ereignissen im Hotel „Overlook“ weitergeht. Nämlich so: Der hellseherische Danny wird weiterhin von bösen Geistern heimgesucht und ertränkt mit zunehmendem Alter seine grausamen Visionen in Alkohol. „Ich war neugierig, was für ein Erwachsener aus Danny geworden ist. Und ich habe dieses Buch geschrieben, um das herauszufinden.“
Auch King selbst war Alkoholiker. „Nein, ich bin es“, korrigiert er sich. „Die Krankheit verschwindet nicht, nur weil man nicht mehr trinkt.“ Inzwischen sei er aber lange trocken.
Der Star-Autor, der weltweit über 400 Millionen Bücher in mehr als 40 Sprachen verkauft hat, wirkt entspannt, äußerst gut gelaunt und - auch wenn Antworten von einer Qualität kommen, als seien sie vorher einstudiert - sehr nahbar („Call me Steve“).
„Einer der Gründe, warum Schriftsteller Schriftsteller sind und keine Redner, ist, dass ein Publikum wie dieses ihnen eine Höllenangst macht. Ich bin dafür nicht gemacht - glauben Sie mir“, behauptet King. Nach diesem Abend fällt dieser Glaube schwer. Aber King sagt ja auch: „Traue keinem Schriftsteller. Er lügt, wenn er den Mund aufmacht.“