Dystopische Romane Endzeitstimmung in der Literatur

Berlin (dpa) - Die Welt ist in Turbulenzen. Die Nachkriegsordnung löst sich auf, neue beunruhigende Allianzen entstehen, Europa ist zerstritten und in der Defensive, rechtsextreme Parteien und autoritäre Regime sind im Aufwind.

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Die gesellschaftliche Unruhe und pessimistische Weltsicht schlägt sich inzwischen auch in der Literatur nieder. Auffallend viele dystopische Romane finden sich diesmal im Herbstprogramm der Verlage. Eine Auswahl:

Bei Klett-Cotta erscheint als „Debüt des Jahres“ im August Christian Torklers „Der Platz an der Sonne“. Darin stellt er die Welt auf den Kopf: Nicht Europa, sondern Afrika ist hier der Sehnsuchtskontinent, der viele Flüchtlinge anzieht. Während Europa arm und zerstritten vor sich hin dümpelt, blühen und gedeihen die afrikanischen Staaten.

Torkler geht dabei von einer alternativen Nachkriegsgeschichte aus: nach dem Zweiten Weltkrieg kommt es zu einem weiteren Krieg zwischen West und Ost, der Europa ausgeblutet und Deutschland zersplittert in sechs Einzelstaaten zurücklässt. Wichtige Industrien werden nach Afrika ausgelagert, Fachkräfte und Knowhow gehen dorthin verloren. In Europa dagegen herrschen Anarchie, gewalttätige Potentaten und Einparteienregime, wie man sie heute tatsächlich in vielen Staaten Afrikas findet. Im zerbombten Berlin träumt der Protagonist Joshua Brenner von einem besseren Leben. Das kann er nur im Süden finden. Joshua wird zum Flüchtling.

Torkler hat Erfahrungen aus seiner Zeit in Tansania in den Roman einfließen lassen, so etwa „wie es sich lebt, wenn wir das, was wir jeden Tag für selbstverständlich in Anspruch nehmen, nicht mehr selbstverständlich ist: Strom, Trinkwasser aus der Leitung oder überhaupt Wasser.“ Aber auch den Unternehmensgeist und die „beeindruckende Fähigkeit“ der kleinen Leute, mit den Schikanen des Alltags fertig zu werden.

Auch in den Romanen Michal Hvoreckys und Tijan Silas hat sich Europa in einen finsteren Kontinent verwandelt. Der Slowake Hvorecky, der auch regelmäßig Kolumnen für die „Zeit“ und die „FAZ“ schreibt, zeichnet in „Troll“ ein gespaltenes Europa: Ein Teil der Gemeinschaft hat sich in die „Festung Europa“ verwandelt. Osteuropa dagegen ist ein diktatorisch geführtes Reich, in dem die öffentliche Meinung von Trollen gesteuert wird. Der namenlose Held versucht dieses Imperium der Fake News von innen heraus zu zerstören und wird dabei selbst Opfer eines Shistorms.

Silas Buch „Die Fahne der Wünsche“ spielt im totalitären Molossien, einem abgeschotteten Staat am Rande Europas, der von der spiroistischen Partei terrorisiert wird. Ambrosio, der Held des Romans, gilt schon als subversiv, weil er das Flipperspielen als Hobby entdeckt hat. Wie kann er in einem solchen Land überleben?

Julia von Lucadous Erstlingswerk „Die Hochhausspringerin“ handelt von einer totalitären Gesellschaft, die auf den ersten Blick freundlicher daher kommt, geleckt wie eine Hochglanzbroschüre. Anpassung, Ausgeglichenheit und absolute Transparenz sind hier oberstes Gesetz. Riva, eine berühmte Hochhausspringerin, passt als perfekt funktionierender gläserner Star bestens in diese Gesellschaft. Doch eines Tages verweigert sie sich. Hitomi, ihre Kontrolleurin, soll die junge Frau wieder gefügig machen. Gelingt ihr dies nicht, droht ihr selbst die Ausweisung in die Peripherien, in die schmutzige Gegenwelt. Ein verstörender Roman über den Terror der Selbstoptimierung und Perfektionierung.

Eine besonders originelle Dystopie legt der russische Starautor Vladimir Sorokin vor. Sein Roman „Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs“ spielt im Jahr 2037. Mit dem Sieg der Islamischen Revolution ist auch die Welt der Kultur und des Buches untergegangen. Bücher werden weder gedruckt noch gelesen, sie dienen nur noch als schnödes Brennmaterial. In der dekadenten Nach-Gutenberg-Ära veranstaltet der Koch Geza mit den Klassikern der Weltliteratur beliebte Grillevents für die Highsociety. Das Megageschäft ruft aber Gezas größten Konkurrenten auf den Plan. Eine erschreckende Welt von Ignoranz und Kulturlosigkeit geschildert als Groteske.

Ob als bittere Parabel, aberwitzige Erzählung oder düsteres Sittengemälde, all diese Romane lassen sich als eine Art Weckruf verstehen, als leidenschaftliches Plädoyer für eine freie Gesellschaft.

- Christian Torkler: Der Platz an der Sonne. Klett-Cotta, Stuttgart, 592 Seiten, 25,00 Euro, ISBN 978-3-608-96290-1 (ET: 30. August)

- Michal Hvorecky: Troll. Tropen, Stuttgart, 216 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3-608-50411-8 (ET: 30. August)

- Tijan Sila: Die Fahne der Wünsche. Kiepenheuer& Witsch, Köln, 352 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-462-05134-6 (ET: 7. September)

- Julia von Lucadou: Die Hochhausspringerin. Hanser Berlin, Berlin, 288 Seiten, 19,00 Euro, ISBN 978-3-446-26039-9 (ET: 23.Juli)

- Vladimir Sorokin: Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 240 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-462-05126-1 (ET: 8. November)