Ferdinand von Schirach wird in Japan gefeiert
Tokio (dpa) - Mit Verbrechen hat Ferdinand von Schirach am anderen Ende der Welt nichts zu tun. In Japan, einem der sichersten Länder der Welt, „glaubt man schnell, dass es keine Verbrechen gibt“, schildert von Schirach (51) seine Eindrücke bei seinem ersten Besuch im Land der aufgehenden Sonne.
Für ihn, den schreibenden Strafverteidiger, sei Japan deswegen aber nicht langweilig, fügt er lachend hinzu. Ganz im Gegenteil, von Schirach verbindet viel mit dem fernöstlichen Land.
Er liebt Haiku-Gedichte und bewundert seinen Schriftstellerkollegen Haruki Murakami, wie er im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur in Tokio verrät. Die Begeisterung für Japan beruht ganz auf Gegenseitigkeit: Von Schirach ist auch in diesem Land ein gefeierter Bestsellerautor.
Bei einer Twitterumfrage unter japanischen Lesern wurde sein Kurzgeschichtenband „Verbrechen“ in der Kategorie übersetzter Krimis außerhalb des englischen Sprachraums - nach „Der Name der Rose“ - auf Platz 2 der 100 besten Krimis aller Zeiten gewählt. Die auf seinen Geschichten basierende TV-Serie „Verbrechen“ läuft auch hier.
Und nicht nur das: Sein Werk „Tabu“ wurde in Japan dieser Tage sogar auf die Theaterbühne gebracht. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man etwas so Kompliziertes überhaupt für das Theater adaptieren kann“, erzählt von Schirach nach der Uraufführung begeistert im Foyer des Neuen Nationaltheaters in Tokio. Der Andrang ist groß, wobei die meisten Besucher Frauen sind. „Das muss an den Schauspielern liegen“, gibt sich der Deutsche fast schon japanisch bescheiden.
Sein Erfolg in Japan werde ihm damit erklärt, dass seine Geschichten „universell“ seien. „Uns beschäftigen dieselben Fragen in unserem Leben. Es geht immer um das Gleiche, es geht um Liebe, Eifersucht, Macht. Das sind die Antriebsfedern eines Menschen und vermutlich ist es daher ganz gleich, in welchem Land die Geschichten spielen“, sagt von Schirach. Sein Übersetzer, Professor Shinichi Sakayori, einer der bekannteste Übersetzer deutschsprachiger Literatur in Japan, hat noch eine weitere Erklärung: „Schirachs Werke sind vergleichbar mit japanischer Tuschmalerei“, erläutert Sakayori im Gespräch.
Deutsche Literatur, die leider immer seltener in Japan gelesen werde, versuche oft, alles umfassend zu erzählen. „Sie lassen keine Lücke, sie wollen alles beschreiben, es sind Ölgemälde, auf denen alles Weiss mit Farbe zugedeckt wird.“ Von Schirach schreibe dagegen in knappen, intensiven Sätzen, „wie mit einer Axt gehackt“, so Sakayori. Er lasse den Leser nach Erklärungen selber suchen. „Jeder kann seine eigene Antwort finden.“ Das sei ähnlich wie mit den Lücken zwischen den Pinselstrichen bei der Kalligraphie. „Dadurch, dass es so lückenhaft ist, tritt die schwarze Schrift so hervor.“ Deswegen verstünden Japaner von Schirach gut. „Seine Mentalität ist der der Japaner sehr nah.“
Japanische Kriminalromane habe er zwar bisher nicht gelesen, sagt von Schirach. Dafür aber die Werke von Haruki Murakami. „Ich mag ihn sehr gern. Er hat etwas geschafft, was wenigen Schriftstellern gelingt, nämlich gleichzeitig tief und populär zu schreiben. Auch dafür bewundere ich ihn.“
Daneben begeistert sich der Deutsche für traditionelle japanische Haiku. „Das Schöne an einem Haiku ist, dass die Sätze genau das bedeuten, was sie an Handlung beschreiben. Wenn bei Basho der Frosch in den Teich springt, dann ist es nur der Frosch und es ist nur der Teich, nichts sonst. Die Klarheit der Bilder hat mich schon immer beeindruckt“, sagt er. „Bei einem deutschen Gedicht der Romantik kann der Mond ein Symbol für den Tod sein und der Wind eines für die Liebe. Echte Frösche sind mir näher“.
Aber es sind auch die kleinen Alltagserlebnisse, die von Schirach bei seinem kurzen Besuch in Japan faszinieren. Ob das Mittagessen in einem exquisiten Sushi-Restaurant, das anders als das Essen bei ihm zu Hause nicht 20 Minuten, sondern dreieinhalb Stunden dauerte. Oder der freundliche Taxifahrer, der kaum ein Wort Englisch sprach, ihm im Regen aber seinen eigenen Schirm überließ. Oder das „irrsinnige Tempo“, mit dem die Menschenmassen aus den U-Bahnen strömen. Oder der Blick über das Lichtermeer von Tokio, als er nachts aus seinem Hotelzimmerfenster sah - demselben Fenster, an dem Bill Murray im Film „Lost in Translation“ saß. All dies, verrät von Schirach, wird irgendwann in einer seiner Geschichten vorkommen.