Ferdinand von Schirachs neuester Roman "Tabu": „Schuld — das ist der Mensch“
Mit „Tabu“ legt Ferdinand von Schirach einen neuen Roman vor. Wieder strauchelt darin ein Mensch.
München. Ferdinand von Schirach ist verlässlich, er bleibt sich treu. In seinen Büchern geht es um Schuld, um die Geschichte des Menschen hinter dem Verbrechen. Auch in seinem neuen Roman „Tabu“ kreist der in Berlin lebende Autor um sein Lieblingsthema.
Trotzdem bleiben seine Geschichten spannend. Dieser Mann hat etwas zu erzählen, das beweist er immer wieder aufs Neue. Die zentrale Frage seines Werkes ist auf Seite 122 ausformuliert: „Was ist Schuld?“, lässt von Schirach eine seiner Figuren fragen. Und der Strafverteidiger Konrad Biegler beantwortet die Frage am Ende: „Schuld — das ist der Mensch.“
In „Tabu“ lässt der 1964 geborene Autor seine Leser viel nachdenken — nicht nur über die Schuldfrage. Es geht darum, wie der Suizid eines Mannes dessen Sohn Sebastian von Eschburg aus der Bahn wirft. Der Protagonist schweigt viele Jahre, kann über das Unaussprechliche nicht reden, flüchtet sich in die Welt der Fotografie. Auch für seine Mutter ist der Selbstmord ein Tabuthema — sie gibt vor, es sei ein Unfall gewesen, ein Schuss habe sich gelöst, als der Vater ein Gewehr reinigte.
Von Schirach bietet nicht nur einmal mehr ein Lehrstück zur Relativität von Schuld. Es geht ihm diesmal vor allem auch um den Unterschied zwischen Wahrheit und Wirklichkeit, der seine Hauptfigur zur Verzweiflung treibt. Ist ein Verbrechen tatsächlich geschehen, nur weil die Indizien dafür sprechen? Wie viel ist ein Geständnis wert? Ist Folter immer unzulässig, um eine Aussage zu erzwingen? Was, wenn es um Leben und Tod geht?
Wieder kommt es dem Roman zugute, dass von Schirach weiß, wovon er schreibt. Weil er selbst Strafverteidiger ist, ziehen seine Erzählungen aus der Welt der Verbrechen und Gerichte umso mehr in ihren Bann. Diesmal geht es weniger brutal zu als in seinen Kurzgeschichtsbänden „Verbrechen“ und „Schuld“.
Seit von Schirachs erstem Roman „Der Fall Collini“ sind zwei Jahre vergangen. War diesem teils noch anzumerken, dass der Autor zuvor Kurzgeschichten geschrieben hatte, wirkt „Tabu“ reifer. Die Gespräche der Figuren sind kurz und prägnant, die Geschichte fesselt, weil von Schirach seiner Idee vertraut. Wie im „Fall Collini“ geht es ihm um viel — aber diesmal will er nicht zu viel.
„Es sind keine Monster, über die ich schreibe. Es sind normale Menschen, die straucheln“, sagte von Schirach einmal in einem Interview. „Wir alle haben eine Geschichte. Wenn wir Glück haben, geht die Geschichte gut.“
Auch in „Tabu“ steht mit Sebastian von Eschburg ein strauchelnder Mensch im Mittelpunkt — der wohl an mehreren Stellen zum Mörder werden könnte. Aber wird er es auch? Als ihm vorgeworfen wird, eine junge Frau getötet zu haben, bringt er mit seiner ausgeklügelten Argumentation selbst den abgebrühten Verteidiger Biegler ins Taumeln. „Ich möchte, dass sie mich so verteidigen, als sei ich nicht der Mörder“, verlangt er von ihm.
Wie in seinen früheren Werken scheint von Schirach an vielen Stellen durch die Figur seines Strafverteidigers hindurch selbst zu sprechen. Einmal lässt er Biegler sagen: „Wir ertragen unsere eigene Schuld nicht. Wir schaffen es, jedem zu vergeben, unseren Feinden, den Verrätern, den Menschen, die uns betrügen. Nur bei uns selbst gelingt uns das nicht.“