„Mit politischem Gespür“ Friedenspreis für Margaret Atwood
Frankfurt/Toronto (dpa) - Seit der Amtsübernahme von Donald Trump und seinem erzreligiösen Vize Mike Pence haben düstere Romane in den USA wieder Hochkonjunktur. Neben George Orwells „1984“ gehört dazu auch Margaret Atwoods Roman „Der Report der Magd“.
In dem erstmals 1985 veröffentlichten Buch beschreibt die kanadische Autorin, wie ihr Nachbarland sich unter dem Einfluss der christlichen Rechten in eine fundamentalistische Theokratie verwandelt. Frauen werden systematisch erniedrigt und übernehmen die Rolle von Gebärmaschinen.
Der Roman bedeutete für die in Toronto lebende Atwood den internationalen Durchbruch. Inzwischen haben sich im Schaffen der 77-Jährigen mehr als 50 Bücher angesammelt. Romane, Kurzgeschichten, Essays, Theaterstücke, Drehbücher, Hörspiele, Opern-Libretti, Kinderbücher und sogar Comics. Keine Gattung ist der unglaublich produktiven Autorin fremd. Zart von Statur, fegt die Kanadierin wie ein Wirbelwind durch alle Sparten der Literatur.
Nun erhält die Autorin, die seit Jahren auch für den Literaturnobelpreis gehandelt wird, den renommierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. „Humanität, Gerechtigkeitsstreben und Toleranz prägen die Haltung Margaret Atwoods, die mit wachem Bewusstsein und tiefer Menschenkenntnis auf die Welt blickt und ihre Analysen und Sorgen für uns so sprachgewaltig wie literarisch eindringlich formuliert“, hat am Dienstag der Dachverband der deutschen Buchbranche die Würdigung begründet.
Dazu zählt sicherlich ihr Endzeit-Roman „Oryx und Crake“ (2003), in dem die Bestsellerautorin die Welt dem Untergang geweiht sieht. Auch die Genmanipulation kann die Menschheit nicht mehr retten. Auch mit der weltweiten Finanzkrise hat sich Atwood in einem Essay beschäftigt („Payback. Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands“, 2008).
In ihrem Werk beweise sie „immer wieder ihr politisches Gespür und ihre Hellhörigkeit für gefährliche unterschwellige Entwicklungen und Strömungen“, stellt der Börsenverein fest. Zwischen den Zeilen wird damit deutlich, dass in Zeiten von Donald Trump der Friedenspreis auch dem politischen Engagement Atwoods gilt, die in Nordamerika als große Umweltschützerin bekannt ist.
Dieser Kampf ist Atwood praktisch in die Wiege gelegt worden. Als Tochter eines Insektenforschers wuchs die Autorin mit ihren Geschwistern in der Wildnis im Norden Kanadas auf. Die Schule besuchte sie erst mit 12. „Ich kann Ihnen aus persönlicher Erfahrung versichern, dass das Verständnis kleiner Kinder dafür, stundenlang mucksmäuschenstill in einem Kanu zu hocken und von Moskitos angenagt zu werden, begrenzt ist“, schrieb sie einst ironisch über die frühen Jahre, in denen sie mit den Eltern oft seltene Vogelarten beobachtete.
Aus der Tortur der Kinderzeit wurde eine Passion, die die studierte Literaturwissenschaftlerin mit ihrem Mann und Kollegen Graeme Gibson teilt. Ob in der Arktis, den USA oder Neuseeland - für das Paar signalisiert der Schwund der Art die Probleme des gesamten Ökosystems. „Wir können die Natur nicht weiter in diesem gefährlichen Tempo vertilgen, ohne uns selbst und alles andere auf dem Planeten zu töten“, warnt Atwood.
Auch ihren Broterwerb begründet sie mit der Kindheit in Kanadas Wäldern. Weil sie in ihren ersten Lebensjahren weder Spielgefährten noch Fernsehen hatte, begann sie zu lesen und dann zu schreiben.
Atwood wird den renommierten Friedenspreis am 15. Oktober zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche entgegennehmen. Auf dem deutschen Buchmarkt ist sie in diesem Jahr bereits mit zwei neuen Romanen vertreten - „Hexensaat“ ist eine Verneigung vor Shakespeares „Sturm“. „Das Herz kommt zuletzt“ ist dagegen eine bitterböse Gesellschaftssatire.
Ihren utopischen Roman „Der Report der Magd“, den der Regisseur Volker Schlöndorff 1989 zusammen mit der Autorin verfilmte, hat inzwischen das Fernsehen neu entdeckt. Die TV-Serie ist im April in den USA angelaufen. Auch Atwood hat darin einen kleinen Auftritt.