Gab es Mr. Darcy wirklich?

London (dpa) - Mr. Darcy gehört wahrscheinlich zu den berühmtesten Romanfiguren überhaupt. Die große Liebe von Eliza Bennet in Jane Austens Roman „Stolz und Vorurteil“ dürfte auf einer Stufe stehen mit Figuren wie Rhett Butler aus „Vom Winde verweht“ oder Boris Pasternaks „Doktor Schiwago“.

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Generationen von Frauen schmolzen dahin, wenn Eliza und ihr Fitzwilliam Darcy sich endlich fanden - im Buch oder im berühmten BBC-Mehrteiler, in dem der spätere Oscar-Preisträger Colin Firth in einen Teich sprang und mit durchnässtem Hemd wieder herauskletterte.

Die britische Historikerin Susan Law will nun herausgefunden haben, dass es Mr. Darcy wirklich gegeben hat. Jane Austen (1775-1817) habe ihre Romanfigur wahrscheinlich an John Parker, den Grafen von Morley, angelehnt, einen Bekannten ihres Lieblingsbruders Henry und Ehemann ihrer Freundin Frances Talbot. „Natürlich hat Jane Austen nirgendwo geschrieben, dass er es war, der sie inspiriert hat, also können wir nicht zu 100 Prozent sicher sein“, sagt Law im Interview der Deutschen Presse-Agentur in London. In der Vergangenheit war auch spekuliert worden, Austens Jugendliebe Thomas Lefroy könne für Darcy Modell gestanden haben. „Aber ich bin überzeugt, dass es Morley war“, sagt Law. „Ich habe viele Hinweise darauf gefunden.“

Zum Beispiel: „Er war groß, gut aussehend und ein reicher Gutsbesitzer.“ Doch das seien nicht die einzigen Gemeinsamkeiten. „Auch der Graf hat sich nach dem Tod der Eltern rührend um seine kleine Schwester gekümmert - genau wie Mr. Darcy.“ Außerdem sei er - wie die Romanfigur - sehr leidenschaftlich, nach außen aber sehr reserviert gewesen. „Das ist doch schon mehr als nur ein Zufall.“

Als „Stolz und Vorurteil“ im Jahr 1813 anonym veröffentlicht wurde, sei die zweite Frau des Grafen für die Autorin gehalten worden, so groß seien die Ähnlichkeiten zwischen ihrem Mann und der Romanfigur gewesen, sagt Law und zitiert Briefe der Ehefrau Frances. Am 12. Oktober 1813 schrieb diese beispielsweise, ihr Mann lese jetzt „Stolz und Vorurteil“, nachdem er gehört habe, „wie sehr der Held ihm gleiche“. Sein Urteil während der Lektüre: „sehr natürlich“, sehr authentisch.

Für Maureen Stiller von der Jane Austen Gesellschaft bedeutet all das noch lange nicht, dass Darcy auf Morley (auch bekannt als Lord Boringdon) basiert. Sie kenne all diese Indizien, sagt sie der dpa. Trotzdem halte sie Laws These für falsch. „Wir wissen zum Beispiel gar nicht, wie die Beziehungen zwischen Jane Austen und Frances war und ob sie sich tatsächlich persönlich kannten.“ Außerdem habe Austen bereits 1796 mit der Arbeit an „Stolz und Vorurteil“ begonnen. Und es sei unwahrscheinlich, dass sie den Grafen damals schon kannte.

Law sieht das völlig anders. „Romantisch, aber auch ein bisschen ungezogen“ sei der echte Mr. Darcy gewesen, sagt sie. Doch das scheint etwas untertrieben angesichts des riesigen Sex-Skandals, in den der gute Mann einst verwickelt war: Im Jahr 1804 heiratete er die 18-jährige Lady Augusta Fane - allerdings nur, weil seine Geliebte, Lady Elizabeth Monck, sich nicht von ihrem Gemahl trennen wollte. Die Heirat mit Augusta war für ihn allerdings kein Grund, die Affäre mit ihr zu beenden oder gar von anderen Liebschaften abzusehen. Augusta wurde es irgendwann zu bunt und sie brannte mit seinem Freund Sir Arthur Padget durch.

Das wiederum wollte der Herr nicht auf sich sitzen lassen und verklagte den Mann, der ihm die Ehefrau ausgespannt hatte. Vor Gericht bekam er dafür tatsächlich 10 000 Pfund. „Das war eine enorme Summe“, sagt Law. „Heute wären das rund 600 000 Pfund.“ Drei Tage nach der Scheidung heiratete Augusta Sir Arthur - und ihr Ex-Mann im gleichen Jahr Frances Talbot, mit der er bis zum Ende seines Lebens glücklich verheiratet war. Der Skandal machte Schlagzeilen und beeindruckte Austen nach Angaben Laws so sehr, dass sie ihn wohl in ihrem Roman „Mansfield Park“ verarbeitete.

Geschichtsexpertin Law hat dem Skandal ein Kapitel in ihrem Buch „Through the Keyhole“ (Durchs Schlüsselloch) über historische Sexskandale gewidmet. Während der jahrelangen Recherchen für das Buch, das kürzlich in England erschienen ist, stieß sie auch auf die Verbindung zwischen dem Grafen und Jane Austen. „Darüber könnte man ein eigenes Buch schreiben.“ Sie habe eigentlich gar nicht „in ein Hornissennest stechen“ wollen, sagt sie. Von den Reaktionen in Großbritannien sei sie vollkommen überrascht gewesen.

Denn Laws Forschungsergebnisse haben Schlagzeilen gemacht in dem Land, in dem es sehr viele Frauen gibt, die sich einen „Mr. Darcy“ wünschen. Colin Firth schürte die Sehnsucht noch, als er quasi die gleiche Rolle später nochmal spielte - als „Mark Darcy“ in den „Bridget Jones“-Filmen. Zeitungen wie die „Times“ und der „Telegraph“ berichteten entsprechend enthusiastisch über Laws Enthüllungen - zum Leidwesen der Jane Austen Society. Stiller sagt: „Jane Austen selbst hat immer gesagt, sie erschaffe ihre Charaktere - und kopiere sie nicht einfach.“