Gabriel García Márquez' Heimkehr nach Cartagena
Cartagena de Indias (dpa) - Am Ende schweben hunderte gelbe Papier-Schmetterlinge durch den Innenhof, in dem seine Urne bestattet worden ist. Die Schmetterlinge sind das wiederkehrende Motiv des Meisterwerks „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez über Aufstieg und Fall der Familie Buendía.
Er prägte damit den „magischen Realismus“, das Pendeln zwischen Fiktion und Realität.
„Die Menschen wissen, dass es mir gefiel in Cartagena zu leben. Aber noch mehr würde es mir gefallen, dass man mich eines Tages in Cartagena bestattet“, hatte er seinem Freund Juan Gossaín anvertraut.
Nun, zwei Jahre nach seinem Tod in der Wahlheimat Mexiko, ist dem kolumbianischen Literaturnobelpreisträger der Wunsch erfüllt worden. Im Innenhof des früheren Klosters La Merced, heute Teil der Universität, hat er am Sonntagabend die letze Ruhe gefunden. In einer feierlichen Zeremonie wurde die Urne mit seiner Asche beigesetzt.
Seine Liebe zu der Stadt, die ihn so beeinflusste, begann im April 1948. „Kaum war ich innerhalb der Festungsmauern, lag die Stadt im malvenfarbenen Sechs-Uhr-Abendlicht in alter Pracht vor mir, und das Gefühl überkam mich, wiedergeboren zu sein“, erinnerte sich der Schriftsteller (1927-2014) fünfzig Jahre später in seinen Memoiren.
Er ist gerade 21, als er in der malerischen Kolonialstadt ankommt, geflüchtet vor den blutigen Unruhen, die in Bogotá auf die Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliécer Gaitán folgen.
Die Pension, in der García Márquez als Jura-Student in der Hauptstadt lebte, war in Flammen aufgegangen: Seine Schreibmaschine und - schlimmer noch - einige unveröffentlichte Erzählungen verbrannten.
Das kolumbianische Cartagena mit seinen Herrenhäusern und verwinkelten Straßen wirkt auf ihn wie eine Oase der Ruhe. Dass er die erste Nacht im Gefängnis verbringen muss, weil ihn die Polizei trotz Ausgangssperre auf einer Parkbank erwischt, ist weniger schlimm: García Márquez hat ohnehin kaum vier Pesos in der Tasche.
Zwar lebt er seinerzeit nur rund 20 Monate in Cartagena, ehe er ins nahe Barranquilla weiterzieht. Aber die Stadt sollte sein Leben und Werk stark beeinflussen. Auch seine Witwe Mercedes Barcha und seine Söhne Gonzalo und Rodrigo sind am Sonntag anwesend. Das frühere Klostergebäude beherbergt heute die Doktoranden-Abteilung der Universität, an der García Márquez auf Drängen der Eltern zeitweilig sein Jura-Studium fortsetzte - das er nie abschloss.
Die Zeremonie sollte schon Ende 2015 stattfinden. „Bei den Arbeiten wurde jedoch eine Zisterne aus der Kolonialzeit entdeckt, die dann in das Monument mit einbezogen werden sollte“, sagt eine Mitarbeiterin der Hochschule. In der Mitte wurde ein Marmor-Sockel installiert, in den die Urne eingelassen wurde, umgeben von vielen gelben Rosen. Darüber thront eine von der britischen Bildhauerin Kate Murray geschaffene Büste des Schriftstellers, die seine Söhne enthüllten.
Nur rund 500 Meter weiter liegt ein Haus der Familie García Márquez'. Er lebte zwar lange in Mexiko, verbrachte aber immer wieder auch Zeit in Cartagena. „La Heroica“ (Die Heldenhafte), wie die Stadt wegen ihres Kampfes gegen Piraten und Kolonialherren genannt wird, hat einige seiner wichtigsten Werke inspiriert.
In der heutigen Unesco-Weltkulturerbestätte spielt etwa die epische Liebesgeschichte zwischen Fermina Daza und Florentino Ariza, der in „Die Liebe in Zeiten der Cholera“ 51 Jahre, neun Monate und vier Tage auf seine Angebetete warten muss. In „Der General in seinem Labyrinth“ begrüßt die Karibikstadt den Freiheitshelden Simón Bolívar, und der Roman „Von der Liebe und anderen Dämonen“ erzählt die Geschichte des Mädchens Sierva María, das auf dem Markt von Cartagena von einem tollwütigen Hund in den Knöchel gebissen wird. Auch das Erstlingswerk „Laubsturm“ entstand größtenteils hier.
„Die Stadt stellt einen Wendepunkt in seinem Wirken dar“, sagte der Literatur-Professor Conrado Zuluaga der Zeitung „El Tiempo“. Schließlich habe auch die journalistische Laufbahn des Autors erst bei dem örtlichen Blatt „El Universal“ so richtig begonnen. Rund 50 Jahre später sollte er die Stiftung Nuevo Periodismo Iberoamericano gründen, die sich dort um den journalistischen Nachwuchs kümmert.
Für den García-Márquez-Biografen Dasso Saldívar liegt die Bedeutung Cartagenas darin, dass „Gabo“ dort zu seinen karibischen Wurzeln zurückfand. Die mystische Küstenstadt habe ihn stark geprägt. „Hier wird der Journalist und echte Schriftsteller geboren“, schreibt Saldívar. So habe er dort als junger Autor an einem Roman namens „La casa“ (Das Haus) gearbeitet, diesen aber nach einigen Jahren beiseite gelegt. „Dieses Paket ist zu groß für mich“, soll er über das Buch gesagt haben, das rund 20 Jahre später unter einem anderen Titel zu seinem Meisterwerk werden sollte: „Hundert Jahre Einsamkeit“.