Helene Hegemann: „Man vergisst sowas ziemlich schnell“

Mit ihrem Debüt hat Schriftstellerin Helene Hegemann eine Debatte über Plagiate ausgelöst. Nun erscheint ihr neuer Roman.

Berlin. Helene Hegemann ist gerade mal 21 — und bringt bereits ihren zweiten Roman heraus. Im Gespräch sagt die Jungautorin aus Berlin, worum es ihr in „Jage zwei Tiger“ geht. Und wie sie die Plagiatsdebatte um ihr erstes Buch „Axolotl Roadkill“ (2010) heute sieht.

Frau Hegemann, kennen Sie im wirklichen Leben auch so viele kaputte Typen, wie sie in Ihrem Buch vorkommen?

Helene Hegemann: Was heißt kaputt? Ich finde, die dealen alle halbwegs adäquat mit ihrer Kaputtheit. Sie sind interessiert daran, mit ihren Verhaltensmustern umzugehen und gegen sie anzukämpfen, ohne jemanden dabei mit einer Axt zu bedrohen. Ich glaube, es gibt genau zwei konkrete Arschlöcher in dem Buch, und das sind letztlich die, die objektiv betrachtet allen gesellschaftlichen Standards entsprechen und als gesund gelten.

Sie behandeln zum vierten Mal das Grundthema: Mutter stirbt, Kind geht zum Vater und muss sich dann von all seinen Traumata befreien. Wie weit hat das mit Ihrer eigenen Geschichte zu tun?

Hegemann: Es geht um drei Teenager, die sich in Extremsituationen befinden, denen was wegbricht, was ihre Lebensbedingungen ausgemacht hat. Dazu müssen sie sich neu verhalten. Gute Grundvoraussetzung für eine Geschichte, die von was anderem als pubertärer Langeweile handelt.

Trotzdem — wie weit verarbeiten Sie da Ihre eigene Geschichte?

Hegemann: Kaum. Vielleicht tue ich sogar genau das Gegenteil. Das Schreiben an sich ist ja ein Vorgang, mit dem man sich vom Skript des eigenen Lebens befreit. Einer der Gründe, weshalb man es überhaupt macht. Von nichts, was ich schreibe, würde ich je behaupten, dass es knallharte Realität sei. Es soll reell sein, nicht in diesem stumpfen Sinne „authentisch“, den alle immer für sich beanspruchen.

Bei Ihrem ersten Buch sind Sie erst als Wunderkind gefeiert worden, dann hat jeder auf Sie eingeklopft. War das eine besondere Hürde für das Buch?

Hegemann: Das ist witzig, die Frage kriege ich oft gestellt. Aber im Gegenteil — das ist doch ein endgültiger Startschuss, wirklich das zu machen, was man will. Stilechter Befreiungsschlag. Man hat weder einen Ruf zu verteidigen noch einen aufzubauen, sondern der Name ist ein Stück weit verbrannt. Außerdem vergisst man so was ziemlich schnell.

Sind Sie ungerecht behandelt worden?

Hegemann: Was heißt ich? Ich glaube, die Thematik ist jenseits der Fakten behandelt worden. Es gab ja keinen einzigen Artikel, der dieses angebliche Plagiat konkret aufgezeigt hat. Sonst hätte sich herausgestellt, dass es um zwei von insgesamt 200 Seiten geht. Aber der allgemeine Duktus lief ja darauf hinaus: Ach, das ist die, die aufgrund mangelnder Coolness ein fremdes Buch kopieren musste.

Also doch ungerecht?

Hegemann: Na ja, ich wurde als Person dekonstruiert, um den Gebrauchswert dieses Buches zu entkräften. Kann man das so sagen? Schon, oder? Wenn’s unabhängig von den Inhalten bloß darum geht, dass man gerade nicht besonders gut aussieht oder zu jung ist oder ne Frau und einem deshalb das Recht aberkannt wird, über bestimmte Dinge zu schreiben — das war das einzige, was mich wirklich tief getroffen hat.