Ildikó von Kürthy als Schanzenbewohnerin
Hamburg (dpa) - Mit „Mondscheintarif“ landete Ildikó von Kürthy 1999 ihren ersten großen Erfolg. Auch die folgenden Romane über die Sorgen und Liebesnöte moderner Frauen stürmten die Bestsellerlisten.
Am 4. April erscheint der neue Roman „Sternschanze“ der Autorin, die mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Hamburg lebt. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur dpa spricht die 46-Jährige über das Älterwerden, Schamhaarfrisuren und ihre liebsten Schwächen.
Frage: Für Ihren neuen Roman „Sternschanze“ haben Sie eine Art Doppelleben geführt und eine kleine Wohnung im Hamburger Szeneviertel Sternschanze gemietet. Warum?
Antwort: Ich wollte meine Ruhe und ich wollte was erleben! Das Doppelleben war mein zaghafter, meinen eingeschränkten Möglichkeiten als Mutter entsprechender Versuch, etwas mehr Abenteuer, Inspiration und Unvorhergesehenes in mein geregeltes Leben einzuladen. Ich habe nach einer fremden Welt gesucht - die nicht weiter als zehn Minuten mit dem Auto von meiner vertrauten entfernt liegt. Das war die Sternschanze - die immerhin mal eine offizielle „Gefahrenzone“ war. Dort habe ich, für meine Verhältnisse außerordentlich waghalsig, eine Wohnung gemietet.
Frage: Und wie war Ihr Leben als Schanzenbewohnerin?
Antwort: Fremd, interessant, spannend, langweilig, einsam - und eben ganz anders, vor allem, ganz anders als erwartet. Die Einsamkeit hat mich überrascht und das Heimweh. Ich habe mir wehmütigst Fotos meiner Söhne angeschaut - obschon die keine acht Kilometer weiter in ihren Bettchen lagen. Ich habe mich - wie meine Romanheldin - bis zum Ladenschluss im Drogeriemarkt Budnikowsky rumgetrieben, weil ich mich dort mehr zu Hause fühlte, als in meiner Wohnung. Ich habe alle Gefühle mit offenen Armen empfangen - besonders die negativen. Denn wenn es mir schlecht geht, ist das am allerbesten. Glück ist schnell erzählt. Kummer macht kreativ. Ich wollte mal wieder richtig unglücklich sein - und das ist gelungen.
Frage: Nach Ihrem Sachbuch „Ansichten einer neugeborenen Mutter“ kommt das Leben als Mutter für Sie als Romanstoff nicht infrage?
Antwort: Mit dem Sachbuch habe ich das Abenteuer „Mutterwerden“ für mich erst mal erschöpfend behandelt. Ich wollte jetzt keinen Kindern in meinem Roman begegnen, von denen habe ich genug im wahren Leben.
Frage: Und wie muss man sich das vorstellen, wenn Sie einen Roman schreiben?
Antwort: Vor dem Schreiben kommt das Erleben. Ich gehe gezielt Erfahrungen sammeln, wie andere Leute Pilze. Für „Sternschanze“ habe ich mehrere Tage in einem altmodischen Motel übernachtet, einen Schminkkurs gemacht, als Hochzeitplanerin, Kellnerin und im Catering gearbeitet, einen fragwürdigen Diätkochkurs und einen Körper-TÜV gemacht. Dann versuche ich mit dem Schreiben zu beginnen - mache mir stattdessen aber lieber erstmal große Sorgen, dass ich nie wieder eine Zeile zu Papier bringen werde.
Dann schreibe ich irgendwann den ersten Satz und habe das Gefühl, ich bin ja eigentlich so gut wie fertig und höre wieder auf. Es folgt ein Päuschen von mehreren Wochen, weil ich so stolz auf mich bin. Später, auf Seite 100, bekomme ich regelmäßig eine quälende Sinn- und Schaffenskrise und plane eine Umschulung auf irgendwas, Hauptsache es hat nichts mit Schreiben und Sprache zu tun. Und irgendwann schreibe ich den letzten Satz - und das ist ein großartiger, rührender, wehmütiger und auch schwerer Abschied von einer Phase meines Lebens und von liebgewonnenen Menschen.
Frage: Sie haben einmal gesagt, Ihre Heldinnen und Ihre Leserinnen werden mit Ihnen erwachsen. Ihre neue Protagonistin fängt mit 43 noch mal von vorne an. Was ist so schwer am Erwachsen-/Älterwerden?
Antwort: Was soll daran schwer sein? Jedes Alter hat seine Tücken. Im Moment bemerke ich erstaunt, wie man gleichzeitig älter werden und dennoch in einigen Punkten ein hyperventilierender Teenager bleiben kann. Meine frisch verliebte Freundin unterscheidet sich - innerlich - nicht von einer 15-Jährigen, und wir diskutieren mit großer Ernsthaftigkeit über Schamhaarfrisuren und warum er sich seit fünf Minuten nicht mehr gemeldet hat. Das macht mir große Freude.
Gleichzeitig sind unsere Themen, unsere Sorgen, unsere Ängste größer und gewichtiger geworden. Es geht um mehr. Wenn Beziehungen zerbrechen, zerbrechen im Zweifelsfall gleichzeitig auch Familien. Wir wissen: Das hier ist keine Generalprobe, das ist das Leben. Mit Mitte 40 nimmt man endgültige Abschiede von Vorstellungen, Lebensentwürfen und Träumen. Manche Ängste verlassen einen nie und mancher Kummer auch nicht. Es gehört zum Erwachsenwerden, das einzusehen und im besten Fall einigermaßen friedlich zu akzeptieren.
Frage: Auffallend ist, dass Frauen nie ihre Selbstzweifel verlieren - egal ob sie 25 oder Mitte 40 sind. Warum sind Frauen so selbstkritisch mit sich selbst und warum hört das nie auf?
Antwort: Wer keine Zweifel an sich hat, ist mir unheimlich, und vor so jemandem nehme ich lieber Reißaus. Mit Mitte 40 machen sich Frauen immer noch Gedanken - neben vielen anderen über die Weltpolitik, den Weltfrieden und die schlechten Manieren ihrer Kinder - über ihre Frisur, ihre Falten und ihr unzuverlässiges Selbstbewusstsein, das sie urplötzlich verlassen kann. Auf einmal steht man ohne da - so, wie wenn man das Kleingeld vergessen hat. Aber ich akzeptiere zunehmend einige meiner Schwächen als dauerhafte Lebensbegleiter. Wer emotional ist und empfindsam, ist eben meist auch hysterisch und schnell beleidigt. Ich will mich nicht mehr über meine Schwächen ärgern, denn sie sind die Schattenseiten meiner Stärken. Ich habe aufgehört damit zu hadern, dass ich mit mir hadere.
Frage: Ein wichtiger Punkt in Ihrem neuen Buch spielt der Abschied von den Eltern. Welche Beziehung hatten Sie zu ihren Eltern?
Antwort: Mein Vater war blind, und seine Behinderung hat mich viel mehr beeinflusst, als ich dachte. Denn für mich als Kind war der blinde Vater ja normal. Er verlor sein Augenlicht mit 26 Jahren als unschuldiger, politischer Häftling in Ungarn. Mein Vater hat mich nie gesehen. Mit einem Blinden kann man nicht durch Blicke und Gesten kommunizieren, die Sprache war unser einziges Medium. Wer nicht sprach, war für meinen Vater nicht da.
Worte waren seit je her mein Werkzeug und daher auch, fast notgedrungen, mein Talent. Ich hatte zu meinem Vater eine sehr intensive, ambivalente Beziehung. Meine Eltern sind schon lange tot. Aber die Liebe, das bemerke ich jetzt, hört nicht auf, sich zu entwickeln und zu reifen, bloß weil der, den man liebt, gestorben ist. Letztlich geht nichts verloren.
ZUR PERSON: Ildikó von Kürthy ist Tochter eines aus Ungarn stammenden Hochschullehrers und einer Buchhändlerin. Sie wurde in Aachen geboren und wuchs auch dort auf. Nach dem Besuch der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg arbeitete sie mehrere Jahre als Redakteurin beim „Stern“. Ihr erster Roman „Mondscheintarif“ erschien 1999 und verkaufte sich millionenfach.