Jahrestag: In Frömmigkeit verwurzelt

Paul Gerhardt, berühmtester lutherischer Lieddichter, wurde vor 400 Jahren geboren. Seine barocken Gedichte erfreuen sich heute weltweiter Bekanntheit.

<strong>Düsseldorf. Dieser Dichter hat so viele Gesichter wie er Schicksale erlebt hat. Da war das familiäre, vom Tod geprägte Antlitz: Er war mit 14 Jahren Vollwaise, den Bruder Christian raffte die Pest dahin, vier seiner fünf Kinder starben, und schließlich auch seine Frau Anna Maria. Der Dreißigjährige Krieg und die religiöse Willkür des Herrscherhauses der Hohenzollern, das sich, anders als seine lutherischen Untertanen, 1612 zum calvinistischen, reformierten Glauben bekannte. Da war andererseits Paul Gerhardts (1607-1676) tief in gläubiger Gewissheit, ja froher Bibelfrömmigkeit verwurzelte Zuversicht in Gott. Das mag weit entfernt von unserer Zeit klingen, aber kein Lieddichter ist so gegenwärtig geblieben wie er.

Ein Meister des klaren, ungekünstelten Sprachklangs

Geboren in Großhainichen, kommt er immerhin in den Genuss einer Ausbildung am lutherisch-humanistisch geprägten Internat im sächsischen Grimma, einer Fürstenschule und eines Studiums in Wittenberg, wo er auf den Dichter Martin Opitz trifft. Zunächst wird er Hauslehrer in der damaligen Doppelstadt Berlin und Cölln, einer Residenzstadt mit stattlichen 10 000 Einwohnern, deren Geschicke später der "Große Kurfürst" genannte Friedrich Wilhelm lenkte. Seine Bekanntschaft mit Johann Crüger, dem Kantor der Nikolaikirche, verhilft ihm zu erstem, bescheidenem Ansehen: Crüger druckt 1647 in seinem Gesangbuch 18 Lieder von Gerhardt ab, die er mit Melodien versieht. Darin schon enthalten das bekannte "Nun ruhen alle Wälder". Als Paul Gerhardt 1651 seine erste eigene Pfarrstelle erhält, ist er nicht nur bereits 44 Jahre alt, sondern muss in die Provinz, nach Mittenwalde, in ein Nest mit gerade einmal 800 Seelen. Zu dieser Zeit aber gärt eine folgenreiche Entwicklung: die Verknüpfung von deutscher Dichtung - von einheitlichem Deutsch konnte allerdings nicht die Rede sein - mit dem pietistischen Protestantismus. Hier ging es, anders als in Günter Grass’ "Treffen in Telgte", um die durch die Sprache vermittelte intensiver formulierte - um, man staunt, eine individuelle Ansprache. Vor allem gilt hinfort das Verschrobene als verpönt. Und Gerhardt entwickelt eine Meisterschaft des klaren, ungekünstelten, direkt ansprechenden Sprachklangs. Auch "O Haupt voll Blut und Wunden" entstand aus der Betrachtung und realistischen Schilderung des Abbilds.

Da wurde aus dem 103. Psalm, aus dem Brahms später einen Teil in sein Deutsches Requiem übernahm, ganz unsentimental dieses Lied: "Menschliches Wesen, / Was ist’s? Gewesen. / In einer Stunde / Geht es zu Grunde, / Sobald das Lüftlein des Todes drein bläst. / Alles in allem / Muss brechen und fallen, / Himmel und Erden, / Die müssen das werden, / Was sie vor ihrer Erschöpfung gewest." Das ist barocke Dichtung für das 21. Jahrhundert.

Lebensdaten: Paul Gerhardt wurde am 12. März 1607 in Gräfenhainichen geboren und starb 1676 in Lübben (Spreewald). Der evangelisch-lutherische Theologe gilt neben Martin Luther als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Kirchenlieddichter.

Literatur: Christian Bunners: Paul Gerhardt. Weg, Werk, Wirkung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, 320 Seiten, 29,90 Euro.