Karl May im Klassenzimmer - Winnetous langer Ritt zur Schule
Radebeul (dpa) - „Ja, die rote Nation liegt im Sterben! Vom Feuerlande bis weit über die nordamerikanischen Seen hinauf liegt der riesige Patient ausgestreckt, niedergeworfen von einem unerbittlichen Schicksale, welches kein Erbarmen kennt.“ So formulierte es Karl May in der Einleitung zu „Winnetou“.
Vom deutschen Bestseller-Autoren ist derzeit wieder viel die Rede. Weil er vor 100 Jahren starb, wurde 2012 zum Karl-May-Jahr ausgerufen. Neue Ausstellungen, Wissenschaftler-Tagungen, Biografien befassen sich mit dem großen Geschichtenerzähler. May gilt noch immer als der wohl am meisten gelesene deutsche Autor.
Aber seine Fans fürchten ganz offenkundig, dass eines Tages auch seine Romane ihrem Verfasser in die ewigen Jagdgründe folgen werden. Warum heutige Jugendliche von sich aus kaum noch zu den grünen Wildwest-Bänden greifen? „Das ist eine gute Frage, die ich mir als Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte auch immer wieder stelle“, sagte am Freitag zum Beispiel der Geschäftsführer der Karl-May-Gesellschaft, Ulf Debelius, im Deutschlandfunk. Er versuche zwar, das zu ändern. Aber 130, 140 Jahre nach May gebe es für Jugendliche eben andere Fluchtwelten, auch virtuelle.
André Neubert, Leiter des Karl-May-Hauses in Hohenstein-Ernstthal, der Geburtsstadt des Schriftstellers, fordert bereits, Mays Werk auch im Unterricht zu behandeln. „Im Lehrplan ist Karl May maximal als Randnotiz zu finden. Dabei gehört Karl May unbedingt in die Schule“, und zwar „neben Goethe ins Fach Literatur“, setzt Neubert hinzu. Die für Bildung zuständigen Ministerien der Länder wiegeln freilich ab. „Es werden in den Lehrplänen keine einzelnen Autoren oder Werke ausgewiesen“, erklärt eine Sprecherin des sächsischen Kultusministeriums - selbst Karl May nicht.
Die Auswahl liege „in der Gestaltungsfreiheit der Lehrkräfte“, deren Heimatverbundenheit durchaus eine Rolle spielen könne. Auch in Brandenburg werden den Schulen seit jeher keine konkreten Titel für die Lektüre im Unterricht vorgeschrieben - lediglich Empfehlungen, die nur als Orientierungsgelde gedacht seien. „Jede Schule entscheidet autonom“, erklärt das Kultusministerium in Potsdam.
Demnach darf also selbst Deutschlands Verteidigungsminister den Pazifisten May nicht zum Pflichtstoff erklären. Selbst wenn im Wahlkreis von Thomas de Maizière (CDU) auch die Karl-May-Hochburg Radebeul liegt, wo der Schriftsteller das letzte Drittel seines Lebens verbrachte und auch begraben ist. May habe große literarische Bedeutung sogar für Deutschland, findet der Minister, der auch Schirmherr des Literaturfestes Meißen ist. „Deshalb hielte ich es für einen Gewinn, wenn er - beispielsweise im Kontext des Deutsch- oder Geschichtsunterrichtes - eine stärkere Berücksichtigung finden könnte.“
Die Lehrergewerkschaft GEW lässt da durchaus Sympathien erkennen. „Ich persönlich fände es gut, wenn Karl May Lektüre im sächsischen Schulunterricht wäre“, sagt die Leipziger GEW-Chefin Cornelia Falken, fügt aber gleich hinzu: „Es sollte Ergebnis gemeinsamer Entscheidungen von Lehrern und Schülern sein, welches Buch gelesen wird, und nicht von politischen oder behördlichen Vorgaben.“ Die einstige Lehrerin sitzt für die Linke-Opposition im sächsischen Landtag und ist derzeit schwer mit dem Lehrermangel an Sachsens Schulen befasst.
Der fällt auch Schauspieler Wolfgang Stumph („Stubbe“) als Erstes ein. „Es gibt für mich persönlich wichtigere Dinge als den Gedanken, ob Karl May in die Lehrpläne muss“, sagt er. Anders ist die Interessenlage beim Chef des Karl-May-Verlags: Bernhard Schmid hätte es natürlich gern, wenn viel mehr Schulen Klassensätze an May-Büchern ordern würden als bisher. „Es liegt immer am Engagement einzelner Lehrer“, weiß Schmid.
Minister de Maizière sieht freilich nicht nur die Schulen in der Verantwortung. „Es wäre ein positives Signal, wenn mehr Eltern die Bücher Karl Mays vor- und mit ihren Kindern lesen.“ Der 78-jährige Literatur-Kritiker Hellmuth Karasek steht indes ganz offen zu seinen May-Defiziten - und zu den Gründen dafür: „Ich habe Karl May nicht so viel gelesen, weil so wenig Frauen drin vorkamen.“ Vertieft habe er sich immerhin in Winnetou. „Da gab es Winnetous Schwester.“ Ob May neben Goethe und Schiller in die Schulen gehört? „Ich habe nichts dagegen.“