Das Morden geht weiter „Lunapark“: Volker Kutschers neuer Kriminalroman
Berlin (dpa) — Der Roman beginnt, wie so viele andere Krimis auch. Ein Toter wurde gefunden, und als der alarmierte Kommissar am Tatort eintrifft, ist die Spurensicherung bereits bei der Arbeit. Allerdings ist das Opfer, das wohl auf brutalste Weise totgeschlagen wurde, noch nicht identifiziert.
Aber das war dann auch das „Gewöhnliche“ an Volker Kutschers neuem Roman „Lunapark“. Denn der Tote am Straßenrand trägt eine braune SA-Uniform und an der Mauer über ihm prangt ein unvollendeter Aufruf zum Kampf gegen die Nationalsozialisten. Gereon Rath, in „Lunapark“ zum sechsten Mal Hauptfigur in einem Roman von Volker Kutscher, weiß ganz genau, dass im Berlin des Jahres 1934 schwierige Ermittlungen auf ihn warten.
Wie kompliziert der Fall werden kann, wird schon nach ein paar Minuten klar. Denn eine schwarze Limousine rauscht heran und bringt Konkurrenz. Der Mord an einem SA-Angehörigen, noch dazu unter einer politischen Parole, ist in Nazi-Deutschland selbstverständlich eine politische Straftat und automatisch zuständig ist somit die berüchtigte Geheime Staatspolizei. Wäre Rath nicht schon für die normale Kriminalpolizei am Tatort, hätte ausschließlich die Gestapo in dem Fall ermittelt.
Aber auch so wird es schwer genug für Rath, denn er muss sich die Ermittlungen mit seinem ehemaligen Assistenten teilen, der inzwischen bei der Gestapo Karriere gemacht hat und so tut, als sei er sein Vorgesetzter. Und sein Gegenspieler ist davon überzeugt, dass der SA-Mann von Untergrundkämpfern ermordet wurde, die gerade aus Moskau nach Berlin eingeschleust wurden.
Für Gereon Rath ist der neue Fall eine ständige Gratwanderung. Er muss Ergebnisse bringen, um einen Mord aufzuklären, der viel komplizierter ist, als es am Anfang scheint, und er muss sich die Freiheit dazu nehmen, unabhängige Ermittlungen zu führen. Denn schon bald tauchen Indizien auf, die ganz andere Zusammenhänge nahelegen, als sie die Gestapo vorgibt. Rath entdeckt Verbindungen der SA zu Berliner Verbrecherbanden, den sogenannten Ringvereinen, die vor 1933 in seinen Ermittlungen immer wieder eine wichtige Rolle spielten.
So etwas auch nur zu erwähnen, ist natürlich tabu im Frühjahr 1934, als die Rabauken der SA sich scheinbar alles herausnehmen können. Auch Raths Ehefrau Charlotte gerät zufällig mit der SA aneinander und muss feststellen, wie hilflos die einzelnen Bürger der Willkür gegenüber waren.
Ein weiterer Mord an einem SA-Mann geschieht und immer deutlicher wird, dass die von der Gestapo vorgegebene Richtung für die Ermittlungen nicht passen kann. Aber ebenso offensichtlich werden die Risse im System.
Volker Kutscher verwendet viel Zeit darauf, die Lebensumstände der Menschen darzustellen und ein Gefühl für das Leben in der frühen Hitler-Diktatur hervorzurufen. Mehrmals erwähnt der Roman die von Propagandaminister Goebbels ausgerufene „Aktion gegen Miesmacher und Kritikaster“, mit der die Nazis die immer deutlicher werdende Kritik am NS-Staat abwenden wollten.
Kutscher hat Verbrechen, Zeitpunkt und Personal perfekt aufeinander abgestimmt. Das Verhalten der SA-Männer spielt eine zentrale Rolle in „Lunapark“, und so ist es nur konsequent, dass der sogenannte Röhm-Putsch, der das Ende der SA-Macht bedeutete, parallel zur Romanhandlung stattfindet.
„Lunapark“ ist ein spannender Kriminalroman, erzählt vor dem Hintergrund einer packend dargestellten historischen Ausnahmesituation. Diese beiden Aspekte des Romans ergänzen einander hervorragend.
Die Romane um Gereon Rath und seine Kollegen im Berlin der frühen 1930er Jahre gehören zu den besten Krimis, die in den letzten zehn Jahren veröffentlicht wurden. Der erste Band der Serie, „Der nasse Fisch“ aus dem Jahr 2007, wird derzeit von Regisseur Tom Tykwer unter dem Titel „Babylon Berlin“ als Fernsehserie verfilmt.
Volker Kutscher: Lunapark. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln, 557 Seiten, 22,99 Euro, ISBN 978-3-462-04923-7