Ein Monument Mittelalterliches Gebetbuch strahlt in neuem Glanz
Berlin (dpa) - Seit Jahrhunderten liegt in der Staatsbibliothek zu Berlin eines der größten kunsthistorischen Werke des Mittelalters - und kaum jemand weiß davon. Das Gebetbuch der Herzogin Maria von Geldern ist so beschädigt, dass die Bibliothek die Handschrift seit 2005 unter Verschluss hält.
Das soll sich nun ändern: Eine niederländisch-deutsche Kooperation aus Kunsthistorikern, Naturwissenschaftlern und Konservatoren will die bedeutende mittelalterliche Quelle wieder für die Benutzung aufarbeiten. Im Oktober soll es eine erste Ausstellung geben.
„Das Gebetbuch ist ein Monument erster Ordnung“, sagt Eef Overgaauw. Der Leiter der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek spricht in ehrfürchtigem Ton von dem Buch. Im Jahr 1415 wurde die Handschrift in einem niederländischen Kloster in Arnheim (Arnhem) geschrieben, erklärt er. Später verzierten Künstler den Text, etwa mit Miniaturen oder Initialen. Wer eine der etwa 600 Pergamentblätter des Gebetbuchs betrachten darf, sieht vergoldete Streifen am Seitenrand, die so dick aufgetragen sind, dass die Farbe nahezu dreidimensional wirkt. Das Gebetbuch gilt als eines der Hauptwerke der niederländischen Buchmalerei.
In Auftrag gegeben wurde das Werk von Maria von Geldern. Die französischstämmige Aristokratin wurde im Alter von 25 Jahren Herzogin von Geldern und Jülich, als sie den Herzog Rainald IV. heiratete. Overgaauw vermutet, dass der römische Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg Jahre nach Marias Tod das Buch erbte und es nach Berlin transportieren ließ. Seit dem 17. Jahrhundert liegt ein Großteil der Handschrift in der Staatsbibliothek. Im Laufe der Jahrhunderte verschlechterte sich deren Zustand allerdings. Das Pergament bekam Brüche, die Malschicht blätterte teils ab, wie Overgaauw erläutert. Dennoch zog die Schrift immer wieder neugierige Forscher an, vor allem aus den Niederlanden.
So besuchte auch Johan Oosterman, Professor für Mittelalterliche und Frühneuzeitliche Niederländische Literatur an der Radboud Universität, vor einigen Jahren Berlin. „Ich war wirklich erstaunt“, beschreibt Oosterman heute seinen ersten Eindruck von der Handschrift. Vor allem die literarische Qualität der Gebete habe ihn fasziniert: „Es gibt eigentlich keine vergleichbare Handschrift.“ Allerdings musste der Professor mit einer digitalen Kopie arbeiten. Die Benutzung des Originals sei ihm verwehrt worden - zu gefährlich für das Material. An dieser Stelle sei die Idee entstanden, das Gebetbuch neu aufzuarbeiten, sagt Oosterman. Er habe sich gefragt: „Wie können wir dieses Buch wieder zugänglich machen?“
Auf diese Weise begann passend zum 600-jährigen Jubiläum des Gebetbuchs vor zwei Jahren eine umfassende Zusammenarbeit: Die Restaurierungswerkstatt der Staatsbibliothek zu Berlin und das Rathgen-Forschungslabor führten eine Schadensanalyse am Material durch, während Wissenschaftler der Radboud Universität mit einer kunsthistorischen Untersuchung begannen.
Mit Röntgenstrahlen, Laser und Infrarottechnik begutachteten die Berliner Techniker das Pergament. „Schnell wurde klar, dass wir die Schäden nicht wiederherstellen können“, sagt Julia Bispinck, Leiterin der Restaurierungswerkstatt. Das vorhandene Material könne bloß stabilisiert werden, um zukünftige Schäden vermeiden. Verloren gegangene Farbpigmente neu aufzutragen, könne die Schäden sogar noch vergrößern. Nach der erfolgreichen Materialanalyse könne nun mit der tatsächlichen konservatorischen Aufarbeitung begonnen werden, sagt Bispinck. Das werde sicherlich zwei Jahre andauern.
Dennoch können Interessierte bereits in diesem Jahr einen Blick auf den Kunstschatz werfen. Ab dem 13. Oktober will das niederländische Museum Het Valkhof in Nijmegen exemplarisch 40 Seiten des Gebetbuchs ausstellen. Wer aus Deutschland nicht so weit reisen will, könnte stattdessen bald in eine Buchhandlung gehen: Die Wissenschaftler planen eine umfangreiche Publikation mit allen relevanten Untersuchungsergebnissen, inklusive Übersetzung der gesamten Handschrift. Damit dürfte das Gebetbuch von Maria von Geldern endgültig für alle zugänglich sein.