Oliver Sacks untersucht Halluzinationen
New York (dpa) - „Drachen, Doppelgänger und Dämonen“ ist der deutsche Titel von Oliver Sacks' neuem Buch. Im Original heißt es schlicht „Hallucinations“.
Im Interview der Nachrichtenagentur dpa erläuterte der New Yorker Neurologe, warum ihn das Thema fesselt:
Wie ist es zu Ihrem jüngsten Band gekommen? Seit wann arbeiten Sie an ihm?
Sacks: „Schon in den 60er Jahren bin ich auf Patienten gestoßen, die in der Aura vor einer Migräne visuelle und andere Halluzinationen hatten. In jener Zeit habe ich auch meine eigenen Erfahrungen gesammelt. Damals experimentierte ich mit einer Reihe von Drogen und sah unter anderen eine historische Schlacht, von der ich zuvor gelesen hatte. Hinzu kamen Berichte von älteren Menschen mit eingeschränktem Seh- oder Hörvermögen, die imaginäre Bilder vor Augen hatten oder Musik hörten, wenn kein Ton zu hören war. Auch Parkinson-Kranke fangen häufig an zu halluzinieren. Leider scheuen sich viele Patienten, über ihre Trugbilder oder -klänge zu sprechen. Halluzinationen sind nicht ungewöhnlich. Sie sind nur wenig beschrieben.“
Also haben Sie es auf sich genommen, die verschiedenen Formen und Ursachen von Halluzinationen zusammenzufassen?
Sacks: „So ist es. In den vergangenen zehn Jahren haben außerdem funktionale Aufnahmen vom Hirn halluzinierender Patienten geholfen, einige Grundlagen dieses Phänomens zu entdecken. So konnten Kollegen bei einem halluzinierenden Patienten Aktivität in jener Hirnregion nachweisen, die offenbar die Erkennung von Gesichtern steuert. Derweil sah der Patient Gesichter, nur Gesichter. Er litt an einer Störung dieser Hirnregion und war außerstande, Gesichter voneinander zu unterscheiden. Möglicherweise zum Ausgleich arbeitete die Hirnregion auf Hochtouren, war hyperaktiv, und produzierte Trugbilder von Gesichtern.“
Sie arbeiten bereits an dem nächsten Buch. Welches Thema haben Sie sich jetzt vorgenommen?
Sacks: „Ich lese seit jeher mit Vorliebe über Biologie. Derzeit bin ich gerade wieder bei Darwin. Mich fasziniert unter anderem ein Kapitel über die Psychologie von Würmern. Auch ich glaube, dass wir den Menschen nur dann verstehen können, wenn wir zuvor die Tierwelt ergründet haben. In dem neuen Buch werde ich mich mit dem Gedächtnis und der Entwicklung des Bewusstseins befassen. Aber dieses Mal werde ich bei Pflanzen und wirbellosen Tieren wie dem Wurm beginnen und mich von dort zum Menschen vorarbeiten.“
(Oliver Sacks: Drachen, Doppelgänger und Dämonen, Rowohlt Verlag, Hamburg, 352 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-498064204)