Poesie nach Auschwitz - Tadeusz Rozewicz ist tot

Breslau (dpa) - Wiederholt zählte Tadeusz Rozewicz zu den Kandidaten für den Literaturnobelpreis - anders als seine polnische Dichterkollegin Wislawa Szymborska erhielt er die Auszeichnung jedoch nie.

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Seinen Platz als Klassiker der polnischen Avantgarde nach 1945 hat der Dichter, der am Donnerstag in Breslau (Wroclaw) im Alter von 92 Jahren gestorben ist, dennoch sicher. Seit seinem 1947 veröffentlichten ersten Gedichtband „Niepokój“ (Unruhe) begeisterte seine lakonische Prosadichtung Leser und Kritiker.

Romantische lyrische Klangspiele waren dem am 9. Oktober 1921 im zentralpolnischen Radomsko geborenen Rozewicz fremd. Die oft gefühlsbeladenen, mitunter pathetischen Traditionen polnischer Poesie passten nicht mehr zu seiner Generation, deren prägendes Erlebnis der Zweite Weltkrieg und die deutsche Besatzung war. Rozewicz kämpfte im Widerstand, sein Bruder wurde von der Gestapo getötet.

Ähnlich wie deutsche Dichter und Philosophen stand auch Rozewicz vor der Frage, ob nach Auschwitz überhaupt noch Dichtung möglich sei. Er selbst sah sich als Dichter „einer Generation, die von Regierungen, Ideologien, Glauben und sich selbst betrogen wurde.“ Kritiker nannten seine Werke „Poesie der durchgeschnittenen Kehle“.

„Grund und Antrieb für meine Dichtung ist auch der Hass gegen die Poesie“, schrieb Rozewicz. Er rebelliere dagegen, dass sie das „Ende der Welt“ überlebt habe, „als wäre nichts geschehen“. Er habe „Poesie für Entsetzte“ geschaffen. Aus der scheinbar kühlen, aber sehr genauen Perspektive des Beobachters fasste Rozewicz die Sprachlosigkeit der Kriegsgeneration in Worte.

Rozewicz verweigerte sich der Stalinisierung der Literatur Ende der 40-er Jahre, zog sich aus dem öffentlichen Leben zurück, wurde als „Nihilist“ angeprangert. Nach Stalins Tod konnte er mit Erfolg an seine früheren Werke anknüpfen.

Sein Tod sei der Verlust eines „Giganten“, so reagierte der polnische Regisseur Kazimierz Kutz am Donnerstag auf die Nachricht vom Tod des Dichters. „Mit seinem Tod endet das 20. Jahrhundert der großen polnischen Dichtung“, schrieb Kulturminister Bogdan Zdrojewski. „Für mich ist er ein Nobelpreisträger ohne den Nobelpreis.“

Viele Werke von Rozewicz wurden auch ins Deutsche übersetzt. Er wurde unter anderem mit dem Samuel-Bogumil-Linde-Preis der Städte Göttingen und Thorn für Verständigung und Versöhnung zwischen Deutschland und Polen ausgezeichnet. Zu seinem 90. Geburtstag hatten Polens Behörden das Jahr 2011 zum „Rozewicz-Jahr“ ausgerufen.