Proletenbuch: Schantall tut weiter die Omma winken
Gelsenkirchen (dpa) - Schantall Pröllmann ist dumm, konsumgeil, geschmacksverirrt und sagt Sätze wie „Ich tu mich hier stylen“. Sie ist die Antiheldin im Buch „Schantall, tu ma die Omma winken!
“ - das sich seit Monaten weit oben in der Taschenbuch-Bestseller-Liste tummelt.
Bisher hat der Verlag 130 000 Exemplare verkauft. Viele wollen anscheinend wissen, wie es ist da unten, in der bildungsfernen Unterschicht. Bei Menschen, die ihren Kindern gerne Namen geben, die sie selbst nicht richtig buchstabieren können; wollen vor allem lachen auf dieser Abenteuerreise in den „Sumpf des schlechten Geschmacks“ von Schantall und Sohn Dschastin.
Geschrieben hat das Buch Kai Twilfer. Es ist sein Erstlingswerk und gleich ein Erfolg, der Verlag (Schwarzkopf & Schwarzkopf) und Autor überrascht hat. Sechs Mal musste schon nachgedruckt werden. Der 36 Jahre alte Gelsenkirchener Twilfer verdiente sein Geld bisher mit Ruhrgebiets-Fanartikeln - von Kohle in Dosen bis zur Postkarte mit schnoddrigem Ruhrpottschnauzen-Spruch. Ein besonderer Renner in seinem Sortiment sei dabei stets die Karte mit der Aufschrift „Schantall, tu ma die Omma winken“ gewesen.
Da steckt mehr drin, dachte sich der studierte Wirtschaftswissenschaftler und erfand den Kosmos der Pröllmanns - die alleinerziehende Schantall inklusive Prollo-Familienclan aus „Bochtrop-Rauxel“, irgendwo im Ruhrgebiet. Mit den Augen eines fiktiven Sozialarbeiters ist Twilfer auf mehr als 200 Seiten jedem Proleten-Klischee, das sich finden lässt, auf den Fersen: Menschen des Typs Schantall träumen von einer Glamourwelt der Castingshows, saufen schon auf der Busreise ins pauschale Ferienparadies Sekt aus Dosen, haben Brüder mit aufgemotzten Karren und fahren so ziemlich alles vor die Wand, was sie anfassen: Kindererziehung, Ausbildung, Familienausflug.
Im Buch wie im Interview ist viel die Rede von Menschenschlag, Prototypen, fremden Welten. Ohne die Schublade kein Lacher, das räumt auch Twilfer freimütig ein. „Die Leute wollen sich amüsieren über das Elend anderer“, sagt er. Dieser Voyeurismus-Effekt ist durchaus kalkuliert und neben dem Prädikat „humorvoll“ aus seiner Sicht wichtiger Kaufanreiz: „Vielleicht suchen wir alle jemanden, dem es vermeintlich schlechter geht, weil er anders lebt“.
Das Phänomen sei dabei keinesfalls auf seine Heimat an der Ruhr beschränkt, wie Twilfer betont. „Wer hier aufgewachsen ist, so wie ich, hat vielleicht zwei, drei Schantalls mehr im Kopf als jemand aus einer ländlichen Region in Bayern“. Grundsätzlich sei es aber ein gesamtdeutsches Problem - das Buch soll sich ja schließlich auch in ganz Deutschland verkaufen. Twilfer ist ein kluger Geschäftsmann, der von einer kabarettistischen Lesereise vor viel Publikum träumt. Er will die erfolgreiche Marke Schantall ausreizen soweit es geht.
Bei alledem würde Twilfer der um sich greifenden Geschmacksverarmung, die er beobachte, gerne Einhalt gebieten. Er stört sich an den Pseudodokus der Privatsender, Stichwort „Frauentausch“ oder „Berlin - Tag & Nacht“: Dort wird geschrien, geflucht, geprollt. „Die Leute denken, sie müssen das nachahmen“, glaubt Twilfer. Und dann wird es die Zuschauer geben, die einschalten, um sich über die Lächerlichkeit der TV-Prolls zu erheben. Auch nicht besser - in diese Kerbe schlägt dann wohl auch Schantall.
Das grelle Buch mit markigem Titel dürfte noch viele Male über die Ladentheke gehen. Twilfer sieht sich auf einem guten Weg, nach seinem Debüt weiter Lachbuchautor zu bleiben. „Es wird ein weiteres Schantall-Buch geben“ - dann wird Schantalls Welt auf die neureiche Upper Class prallen.