Reden, nicht Krieg führen

Interview: John le Carré erzählt über sein neues Buch, Barack Obama, seine Zeit als Agent und seine Kindheit.

Herr le Carré, vor gut fünf Jahren schrieben Sie in einem Essay mit Blick zur Politik von George W. Bush, Amerika sei in die schlimmste Phase historischen Wahnsinns eingetreten. Sehen Sie Amerika jetzt mit der Wahl von Barack Obama geheilt?

LeCarré: Es ist ein historischer Moment wie einst der Fall der Berliner Mauer. Wir glauben jetzt, dass wir eine Stimme haben in Obama, einen großen Staatsmann. Wir wollen jetzt wissen, was will er wirklich, wer ist er. Ich würde mich freuen über einige klare Aussagen von ihm. "Ich kann nicht der Präsident von Guantanamo sein", wäre eine davon.

LeCarré: Ich glaube, dass der Krieg gegen den Terror nicht angemessen geführt wird. Natürlich muss es ein effizientes Vorgehen der Polizei gegen Terroristen geben. Aber der Krieg gegen den Terror ist in einen religiösen Krieg zwischen Christentum und Islam verwandelt worden.

LeCarré: Ihr Land steht jetzt vor Entscheidungen, die mein Land schon getroffen hat, und zwar meiner Ansicht nach die falschen. Entscheidungen über die Einschränkung von Bürgerrechten und der Privatsphäre in diesem sogenannten Krieg gegen den Terror. Ich hoffe, dass in diesem Obama-Moment der Geschichte auch die Diskussion in Deutschland eine andere Richtung einschlagen wird. Sie haben Millionen Ausländer, die sie integrieren müssen. Deutschland hat mich schon immer fasziniert.

LeCarré: Ich kenne die Stadt, ich war im britischen Konsulat hier, vor gefühlt 1000 Jahren, 1964. Die Geschichte Hamburgs ist wie ein Bildungsroman.

LeCarré: Je mehr Angst wir uns selber einjagen, desto mehr verlieren wir den Krieg gegen den Terror. Darum geht es. Wie kann man wissen, ob man den Terror besiegt hat? Wie kann man wissen, ob ein Anschlag der letzte war? Es ist eine Situation, die nur durch Integration und gegenseitige Toleranz gelöst werden kann. Es muss eine politische Lösung geben. Wir müssen mit den Taliban und dem Iran reden.

LeCarré: Obama darf nicht in die Georgien-Falle tappen. Es ist eine sehr heikle Angelegenheit. Natürlich spielen die Russen Spiele, aber jeder weiß: Wenn man den russischen Bären an seiner Landesgrenze in den Hintern beißt, dreht er durch. Es ist unverantwortlich, eine Raketenabwehr an den russischen Grenzen aufzubauen. Zu versuchen, Demokratie mit Gewehrläufen zu pflanzen, ist schon ganz verrückt.

LeCarré: Eher Ungeduld. Und natürlich fühle ich Wut, wenn die Wahrheit verfälscht wird. Und ich bin empört über meinen ehemaligen Geheimdienst, weil er sich daran beteiligte, die Wahrheit zu verdrehen, um den Krieg im Irak zu rechtfertigen.

LeCarré: Mein Vater war ein Hochstapler. Meine Mutter verschwand, als ich fünf war und ich wusste lange nicht, ob sie lebte oder tot war. Diese frühen Erfahrungen - großartig für einen Schriftsteller - machten mich misstrauisch und förderten zugleich das Bedürfnis, zu verstehen, was unter der Oberfläche vorging. Wir lebten nur in Lügen. Da hieß es, mein Vater sei im Urlaub. Falsch, er war im Gefängnis. Also erwartete ich überall Verschwörung und Verrat. Die Kehrseite davon ist eine romantische Natur: Man ist isoliert, man denkt, dass es irgendwo eine bessere Welt geben muss. Es könnte einen leicht zur Religion führen.

LeCarré: Mich brachte es dazu nachzudenken, wie eine bessere Welt aussehen könnte. Ich wurde sehr früh vom Geheimdienst angeworben. Und es waren die bestimmenden Jahre meines Lebens. Ich denke, dass ich in der geheimen Welt Ersatzeltern gefunden habe. Die Fähigkeiten, die mir meine Kindheit bescherte und der Idealismus brachten mich direkt in die Geheimdienstwelt. Ich war ein großer Boyscout mit schmutzigen Gedanken.

LeCarré: Für einen Spion, ja. Und dann war da der Gulag der britischen Internate. Ich war eine Art Waisenkind. Das spornt die Fantasie an. Es hilft sehr, ein Schriftsteller zu werden. Graham Greene sagte, die Kindheit sei das Vermögen eines Romanautors. So gesehen war ich ein Millionär.

LeCarré: Sobald ich die Realität der Geheimdienstwelt kennenlernte, wollte ich sie als Schriftsteller neu erfinden. Würde ich zur See fahren, hätte ich eben darüber geschrieben. Ich kann nur leben, wenn ich schreibe. Ich bin nicht einer dieser unglücklichen Schriftsteller, ich liebe es.