„Rehabilitation? Absurd“: Walser über sein Buch „Unser Auschwitz“

Überlingen (dpa) - Für manche bedeutet es ein Umdenken, eine Belehrung oder gar einen Versuch der Rehabilitierung: Vor wenigen Monaten ist „Unser Auschwitz“ von Martin Walser erschienen.

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Der Schriftsteller, dem in der Vergangenheit selbst so manches Mal Antisemitismus vorgeworfen wurde, dokumentiert darin seine lebenslange Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld. Als Bekehrung will er das im Interview der Deutschen Presse-Agentur aber nicht verstanden wissen.

Frage: Herr Walser, als Reaktion auf Ihren Sammelband „Unser Auschwitz“ kamen viele Begriffe auf - Bekehrung, Umdenken, Rehabilitation. Was sagen Sie dazu?

Antwort: Ich finde das absurd. Entschuldigung, Rehabilitation, was heißt denn das? Das heißt, irgendein Verbrecher muss rehabilitiert werden. Da sieht man den leichtfertigen Umgang mit Fremdwörtern. Der Inhalt dieses Buches ist es, dieser nicht immer genügend informiert sein könnenden Journalistik ein Material anzubieten, aus dem hervorgeht, dass sie meine diesbezügliche politische Meinungsäußerung nicht immer mit Oktober 1998 (Anm.: Walsers umstrittene Rede in der Frankfurter Paulskirche, in der er vor einer „Instrumentalisierung von Auschwitz“ warnte) beginnen lassen dürfen. Um dann zu sagen: Da war er so - und das ist jetzt die Kehre.

Frage: Passt denn das Wort Rechtfertigung?

Antwort: Ich scheue mich, das Wort in einem Gespräch über dieses politische Thema vorkommen zu lassen. Es stammt aus einer höheren Sphäre. Aber es reicht natürlich - das stimmt schon - von ganz oben bis ganz unten. In meinem Büchlein „Über Rechtfertigung“ habe ich es ja auch zusammengebracht mit einem durchaus gesellschaftlich besetzten Wort, nämlich mit dem „Rechthaben“. Und habe auch zugeben müssen, dass ich mein sogenanntes berufliches Leben in der Sphäre des Rechthaben-Müssens verbracht habe. Ich kann das nachträglich weder bereuen, noch begründen. Ich habe zwar auch Literatur und Philosophie studiert. Und trotzdem war ich dem Aktuellen ausgesetzt und dem Zwang, reagieren zu müssen. Obwohl ich mir doch mit Franz Kafka hätte sagen müssen: Ist doch alles unwichtig. Aber es nützte nichts.

Frage: Und heute?

Antwort: Jenseits aller täglichen Irritation bin ich froh, dass ich jetzt sagen kann: Bitte, lies doch hier in „Unser Auschwitz“.

Frage: Der Sammelband zeichnet Ihre lebenslange Auseinandersetzung mit dem Thema der deutschen Schuld nach - wie kam es dazu?

Antwort: Das habe ich mir nicht willentlich vorgenommen. Das ist keine Denkstrategie, sondern die unwillkürliche Reaktion auf unsere Geschichte - die mir natürlich nie auf einmal gegenwärtig sein kann. Aber nach und nach bin ich immer weiter hineingekommen. Als ich mich 1949 zum ersten Mal mit Franz Kafkas „Verwandlung“ beschäftigt habe, habe ich auch nicht gewusst, dass das ein Lebensthema sein wird. Aber da war es halt dieser faszinierende Text, der mich einmal für fünf Jahre an Kafka gebunden hat.

Frage: War die Lektüre des jiddischen Schriftstellers Sholem Yankev Abramovitsh (1835-1917), dem Sie mit ihrem Buch „Shmekendike Blumen“ ein Denkmal setzten, ähnlich prägend?

Antwort: Das ist auch etwas, das mit Misstrauen jeder Art beantwortet wird. Das kann ich formulieren, wie ich will. Nie kann ich verständlich machen, was das für eine Auskunft war. Nur, das eine weiß ich: Es gibt eine Literatur - das muss man jetzt einfach einmal so formulieren - die hat eine Qualität, die keine andere Schriftlichkeit für mich haben kann. Das sind Leseerfahrungen geworden und geblieben, sozusagen für immer. Ich habe über Amerika nie mehr Besseres, Genaueres erfahren als durch William Faulkner. Oder über Frankreich durch Proust. Und vor allem: Russland und Fjodor Dostojewski. Für mich ist die reinste, höchste, schönste Auskunft, die ich je über jüdisches Leben bekommen habe, der Abramovitsh. Seine drei Romane - darüber könnte ich endlose Vorlesungen halten.

Frage: Hat das Werk auch Ihren Blick auf die vorhin angesprochene Paulskirchen-Rede verändert?

Antwort: Die Lektüre hat mir gezeigt, dass es... Wobei, ich muss jetzt nicht die Zeile liefern: Ich bereue, was ich in der Paulskirche gesagt habe. Es kommt mir nur höchst unnötig vor, dieses Hin und Her - soll man das so oder so interpretieren, sollen wir eine Sprache dafür finden? Die Schwierigkeiten beim Verfassen der Rede, die hätte ich mir schenken können, wenn ich den Abramovitsh schon gelesen hätte. Das glaube ich schon. Deswegen kann ich ja trotzdem die ganzen Notwendigkeiten, die mich in die Paulskirche geführt haben, nicht widerrufen oder bereuen. Das ist doch Quatsch. Ich sage nur: Ich könnte es nicht mehr. Es wäre mir jetzt egal, dass Intellektuelle gesagt haben, die deutsche Teilung ist zu Recht Strafe für Auschwitz. Diese Instrumentalisierung kann mir doch egal sein. Was ist das - angesichts dessen, was passiert ist. Was sind da solche lächerliche kleine Hin und Her-Redereien. Das verdanke ich Abramovitsh.

ZUR PERSON: Der Schriftsteller Martin Walser, 88, wurde am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren. Zu seinen bekanntesten Stücken zählen die Novelle „Ein fliehendes Pferd“ (1978) sowie die Romane „Seelenarbeit“ (1979), „Tod eines Kritikers“ (2002) und „Angstblüte“ (2006). Walser ist seit 1950 verheiratet, das Ehepaar hat vier Töchter und lebt in Überlingen am Bodensee.