Rolf Hochhuth löst Eklat um Grass-Gedicht aus
Berlin (dpa) - Die Affäre um die Israel-Kritik von Günter Grass schien abgehakt, da lenkt Rolf Hochhuth die Aufmerksamkeit wieder auf das umstrittene Gedicht - und auf sich.
Mit der Ankündigung, wegen einer Diskussion um die Grass-Verse aus der Berliner Akademie der Künste austreten zu wollen, bleibt der Dramatiker seinem Ruf als streitbarer Geist treu. Dabei erntet er auch Kopfschütteln unter seinen Kollegen im Akademie-Glashaus am Brandenburger Tor.
In einem Punkt sind sich alle Seiten über den Ablauf des Eklats einig: Als der 81-Jährige am vergangenen Samstag eine Sitzung der Akademie-Sektion Literatur verließ, knallte die Saaltür. Strittig wird es bei der Frage, ob die Akademie überhaupt über die Grass-Dichtung und die darin enthaltenen Vorwürfe gegen den Judenstaat diskutieren sollte. Hochhuth lehnte das lautstark ab. Er befürchte, dass die Diskussion einseitig zugunsten des Irans und der Palästinenser auf Kosten Israels verlaufe.
Die Furcht scheint unbegründet. Vor allem von Autoren hagelte es Kritik, als Anfang April Grass in der „Süddeutschen Zeitung“ Israel in Gedichtform vorwarf, den Weltfrieden zu gefährden und möglicherweise einen Nuklearschlag gegen den Iran vorzubereiten.
So sei es in der Akademie am Wochenende in erster Linie nicht wieder um das Gedicht „Was gesagt werden muss“ gegangen, wie Präsident Klaus Staeck am Montag klarstellte. Zur Frühjahrs-Mitgliederversammlung sei der Nahost-Experte Michael Lüders eingeladen worden, um über die Sicherheitslage zwischen Israel und Iran zu sprechen. Hochhuth habe lautstark Einspruch erhoben, dass überhaupt das Thema diskutiert werde. „Wir Deutsche“, so habe Hochhuth gesagt, „sollten das Maul halten.“
Der Schriftsteller Ingo Schulze, Direktor der Literatur-Sektion, ist über die Attacke und die Rücktrittsankündigung überrascht. Das Gespräch mit Lüders, an dem 18 Mitglieder und Gäste teilgenommen hätten, sei „sehr differenziert und sehr sachlich gewesen“ - bis auf den Einspruch. „Die denunziatorischen Vorwürfe Hochhuths sind absurd und beleidigend“, sagte Schulze.
Tatsächlich ging Hochhuth in seinen Äußerungen nicht mit spitzer Feder vor, eher mit grobem Keil. „Ich weigere mich, zwischen Antisemiten zu sitzen“, schrieb er in seinem vorläufigen Abschied, ein formeller Austritt stand am Montag noch aus. Das Gedicht hätte „sehr gern - der 1946 in Nürnberg gehängte - Julius Streicher in seinem "Stürmer" gedruckt“.
„In aller Schärfe“ lehnte er den Antisemitismus-Vorwurf ab, den Hochhuth „ohne jeden Anlass“ gegen Akademie-Mitglieder erhoben habe, erwiderte Staeck. Die Distanzierung dürfte der Akademie nicht leicht fallen. Lange Zeit genoss Hochhuth hier großes Ansehen.
Sein Vatikan-Drama „Der Stellvertreter“ von 1963 war Vorbote für gesellschaftspolitisch relevantes Theater, die Recherchen zum Stück „Juristen“ über die Rolle der Nazi-Richter in der Bundesrepublik führten zum Rücktritt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Marine-Richters Hans Filbinger. Nicht jeder Autor bringe einen Regierungschef zu Fall, heißt es anerkennend aus der Akademie.
Doch immer wieder hat der Autor mit heftigen Tiraden selbst Wohlgesonnene vor den Kopf gestoßen. Präsident Staeck bleibt diplomatisch. „Die literarische Lebensleistung Rolf Hochhuths und der Respekt vor seiner Person gebieten es, auf die Umstände seines Abgangs aus der internen Sitzung der Sektion Literatur nicht öffentlich einzugehen“, erklärte er.
Hochhuth legte am Montagabend im Deutschlandradio Kultur nach: Die Akademie der Künste verteidige das „antisemitische Pamphlet“ von Grass nur deshalb, weil der einmal Präsident dieser Institution gewesen sei. Grass' Zeilen seien „so wenig ein Gedicht (...) wie ein Pferd ein Ziegenbock“. Er habe schnell gewusst, in welche Richtung die Diskussion bei der Tagung „ausarten“ würde: „Nämlich zu einer fast, ich sage fast, einstimmigen Verurteilung Israels zugunsten seiner Todfeinde, der Palästinenser und der Iraner.“ Den Stil der Diskussion auf der Tagung bezeichnete Hochhuth als „Geschrei“.
Und über Ingo Schulze (49) sagte Hochhuth: „Er wollte mir den Mund verbieten. Ich lasse mir mit 81 Jahren von so einem jungen Mann nicht den Mund verbieten.“ Und: „Es ist mir vollkommen schnuppe, was Herr Schulze über mich denkt.“