Sharon Dodua Otoo gewinnt Ingeborg-Bachmann-Preis
Klagenfurt (dpa) - „Manchmal wache ich auf und denke: Heute bin ich ein Ei. Zugegeben: Das passiert mir nicht oft“, heißt es im Text von Sharon Dodua Otoo. Mit ihrem amüsanten Werk überzeugte die im deutschsprachigen Raum bislang unbekannte Autorin die Juroren des Ingeborg-Bachmann-Preises.
Die gebürtige Britin erhielt dafür am Sonntag in Klagenfurt den mit 25 000 Euro dotierten Hauptpreis der 40. „Tage der deutschsprachigen Literatur“. Die Kritiker verorteten den unaufgeregten Text „Herr Gröttrup setzt sich hin“ zwischen Parodie und Parabel.
Die morgendliche Routine des Ehepaars Gröttrup ist seit Jahre gleich. Den Abschluss des Frühstücks bildet stets ein siebeneinhalb Minuten lang gekochtes Ei. Eines Morgens weigert sich das Ei hart zu werden - bekommt ein Eigenleben und wird zum Ich-Erzähler. Das stürzt vor allem den pensionierten Herrn Gröttrup, ein klassischer Patriarch, in eine Krise. Angelehnt ist die Hauptfigur an Helmut Gröttrup (1916 - 1981), deutscher Ingenieur und Raketenfachmann.
Ein steter Wechsel aus Langsamkeit und Schnelle zeichnet den Text aus. Die Literaturkritikerin Hildegard Keller fand, man könne nur schwer „vergnügter von der Reinkarnation erzählen“. Sie sah eine Persiflage auf Loriots Ei-Nummer mit hintergründigem Charme. Der Beitrag zeige auf, was der Bachmann-Preis auch zum 40. Jubiläum seines Bestehens leisten könne: „Einer neuen Stimme die Bühne zu geben, die es verdient hat“, so Keller.
Die sichtlich gerührte und glückliche Gewinnerin konnte ihr Glück kaum fassen und gestand: „Ich habe den Preis vorher eigentlich gar nicht gekannt.“ Hätte die in Berlin lebende Autorin um die Tradition des Wettlesens gewusste, hätte sie einen anderen Text eingereicht.
Der Jury-Vorsitzende Hubert Winkels wies auf die Vielseitigkeit des Wettbewerbs hin. Teilnehmer aus acht Nationen präsentierten drei Tage lang ihre Werke. Die vier Preise gingen an vier verschiedene Nationen und stellten vor allem eine neue Generation starker Frauen ins Rampenlicht: Neben der Britin Otoo erhielten noch die Deutsche Julia Wolf und die Österreicherin Stefanie Sargnagel Auszeichnungen. Der Schweizer Dieter Zwicky blieb der einzige geehrte Mann.
Vor allem die Wienerin Sargnagel, die den Publikumspreis einheimste, stand in diesem Jahr im Fokus. Bislang wurde sie mit ihren Alltagsbeobachten in einfacher Sprache auf sozialen Medien bekannt, die kurz, witzig und zum Teil äußerst obszön sind. Klassische Schablonen der Literaturkritik sind bei ihr nicht anzuwenden.
Die neue Runde des Wettlesens wurde vermutlich auch deshalb mit einem Appell an mehr Aufgeschlossenheit eingeläutet. Der ehemalige Jury-Vorsitzende und deutsche Autor Burkhard Spinnen wünschte sich dezidiert „mehr riskante Texte“. Stücke nur nach dem Potenzial zum größten gemeinsamen ästhetischen Nenner auszuwählen, sei falsch. Auch auf die Gefahr hin, dass die Autoren viel Kritik einstecken müssten.
In „Penne vom Kika“ lässt die kultige Facebook-Poetin Sargnagel ihre Ich-Erzählerin einen Wintertag in Wien erleben. Die Hauptfigur geht eislaufen und trifft sich in einer heruntergekommenen Kneipe mit einer Freundin. Die Ich-Erzählerin stellt sich dabei nie über die traurigen und verkorksten Gestalten, denen sie begegnet. Manche Beschreibungen, wie das Entfernen eines Haares aus den Pobacken, lösen bei vielen Zusehern wohl Ekel aus. Ihren Preis nahm die 30-Jährige mit roter Mütze und geklebter Sonnenbrille entgegen und freute sich über das starke Abschneiden der Frauen: „Auf zum goldenen Matriarchat.“