Tom Sharpe: Das große Comeback des Henry Wilt
München (dpa) - Die Zeiten, in denen Tom Sharpe regelmäßig ein neues Buch schrieb, sind längst vorbei. Immerhin wird der britische Altmeister des schwarzen Humors am 30. März bereits 84. Fans seiner Lieblingsfigur Henry Wilt mussten sich daher gedulden.
Aber das Warten hat sich gelohnt. Wilt ist wieder da - und wie. Alles, was Sharpe schon früher vorgeworfen wurde, lässt sich auch gegen „Henry haut ab“ ins Feld führen: Die Grenzen des guten Geschmacks werden konsequent überschritten, der Plot ist an den Haaren herbeigezogen, die Handlung überdreht, die Figuren sind überzeichnet, Klischees werden reichlich bedient. Sharpes Fans werden es lieben.
Es ist, als hätte jemand den Autor aufgefordert, hemmungslos seine humoristischen Fantasien auszuleben, ohne Rücksichten auf Political Correctness zu nehmen. Genau das ist es, was viele an Sharpe schätzen, seit er in „Puppenmord“ die Figur des vom Schicksal gebeutelten Henry Wilt erfunden hat. Das war immerhin schon 1976. Wilt ist im Debütroman noch Berufsschullehrer, unterrichtet Metzger-Azubis in Literatur und gerät in peinliche Verwicklungen, als er aus einer Ohnmacht aufwacht und nackt an eine Sexpuppe gefesselt ist. Ähnlich schräg geht es im jüngsten Sharpe-Roman weiter.
Wilt ist mittlerweile Dozent an einem College, nach wie vor mit Eva verheiratet, hat nun allerdings pubertierende Vierlinge, Töchter, wie man sie seinem ärgsten Feind nicht wünscht. Das Internat, das sie besuchen, kann sich die Familie eigentlich gar nicht leisten. Und es ist auch sonst nichts für die vier verzogenen Mädchen, die den Lehrern das Leben zur Hölle machen - und der Direktorin eine Männerunterhose und ein gebrauchtes Kondom ins Ehebett schmuggeln, um ihren misstrauischen Mann zur Weißglut zu treiben.
Damit die Schulgebühren finanziert werden können, fädelt Eva einen Ferienjob der besonderen Art für Henry ein: Er soll dem Sohn von Lady Clarissa solange Nachhilfe geben, bis der eine Chance auf einen Studienplatz in Cambridge hat. Dabei hat Eddie in etwa den Intelligenzquotienten einer Reiswaffel. Wofür er sich allenfalls interessiert, sind Schießübungen mit großkalibrigen Gewehren.
Sir George, sein Stiefvater, ist sozial mindestens genauso gestört. Für Eddie empfindet er nur Verachtung, und zu seinen wenigen Leidenschaften gehört Sex mit dicken Frauen. Sharpe karikiert ihn als übellauniges Großmaul. Seine Frau Lady Clarissa dagegen, Nymphomanin mit dem verhängnisvollen Hang zu Alkohol am Vormittag, Nachmittag und in den Abendstunden, vergöttert ihren Eddie in einer Form von Mutterliebe, die nicht gutgehen kann.
Als Henry mit seiner Familie aufs Anwesen der seltsamen Landadelsfamilie zieht, um den debilen Sohn zu unterrichten, ist die Katastrophe programmiert. Viele böse Pointen und zwei Tote später steht Wilt mal wieder unter Mordverdacht - wie schon im Debütroman vor mehr als 35 Jahren. Auch diesmal kommt es nicht zur Anklage. Doch die ermittelnden Polizisten sind heilfroh, als es vorbei ist. Für Sharpes Fans könnte es ruhig noch ein bisschen weitergehen.