Tranströmer auf der Lit.Cologne: Ein Poet der Psychologie
Autor Tomas Tranströmer besuchte die Lit.Cologne. Sein Verleger übernahm das Vorlesen für ihn.
Köln. Die Lit.Cologne ist bekannt für ihre ungewöhnlichen Lesungen. Aber eine solche Lesung wie am Mittwochabend im Kölner Schauspielhaus hat das Literaturfestival noch nicht erlebt. Eineinhalb Stunden lang sitzt der Autor zwar auf der Bühne, aber er sagt nichts. Denn Tomas Tranströmer (80), der Literatur-Nobelpreisträger 2011, kann nach mehreren Schlaganfällen nur noch wenige Worte sprechen.
Sein Verleger, der Münchner Hanser-Chef Michael Krüger, hat ihn auf die Bühne gefahren, in seinem „Wagen“, wie er es nennt. Da sitzt er nun eingesunken im Rollstuhl. Unter dem linken Arm hält er einen Gehstock eingeklemmt. Der gelähmte rechte Arm ist starr angewinkelt.
Das Publikum erwartet nun wohl etwas. Der Dichter interessiert sich umgekehrt für das Publikum. Er hält seine linke Hand über die Augen, um sie gegen das Scheinwerferlicht abzuschirmen, und schaut in den Saal. Blickt seine Leser an. Immer wieder.
Währenddessen erzählt Krüger von der Verleihung des Nobelpreises. 400 Männer im Frack, alle mit Orden auf der Brust, die Damen in Roben. Da der Preisträger nicht aufstehen konnte, musste sich der König von Schweden zu ihm hinunterbeugen. An dieser Stelle legt Tran-strömers Frau Monica, die neben ihm sitzt, ihre Hand auf seinen Arm, und die beiden alten Leute lächeln sich an.
Krüger liest jetzt aus Tranströmers Kindheitserinnerungen. In einem seiner bekanntesten Bilder hat er das Leben mit einem Kometen verglichen, dessen breitester, vorderer Teil die Kindheit darstellt, in der alles Wesentliche festgelegt wird. Weiter hinten verdünnt sich der Komet. „Ich bin jetzt weit im Kometenschweif.“ Tranströmer fixiert wieder das Publikum. Die Haare sind weiß, und das Gesicht ist zerfurcht.
Nun liest Krüger eine Gedichtpassage vor, in der es um Quallen geht. „Quallen — sie treiben wie Blumen nach einem Meeresbegräbnis. Nimmt man sie aus dem Wasser, zerfallen sie wie Gelee. Sie sind unübersetzbar.
Sie müssen in ihrem Element bleiben.“ Tranströmer schreibt Gedichte ohne Schnörkel in denkbar klarer Sprache. Jetzt winkt er ins Publikum. Krüger sagt etwas über Tranströmers frühere Tätigkeit als Psychologe: „Ein furchtbarer Beruf für einen Dichter.“
Da meldet sich Tranströmer mit einem Mal zu Wort. Er tippt seine Frau an und murmelt zu ihr ein paar Worte auf Schwedisch. Sie wiederholt es, offenbar um sicherzustellen, dass sie ihn richtig verstanden hat und sagt: „Er hat gesagt, dass es die Poesie nicht gestört habe, psychologische Gutachten zu verfassen.“
Schließlich hört das Publikum Tranströmer doch noch. Vom Band. Eine alte Aufnahme wird eingespielt. Er liest ein Gedicht über den Maler Vermeer. Der hat mit ihm gemein, dass er auch nur ein ganz schmales Werk hinterlassen hat. Aber davon handelt das Gedicht nicht. Es handelt von der Leere auf Vermeers Bildern. Einer Leere, die man auch als Offenheit begreifen kann. Als Angebot, sich selbst etwas auszumalen.
Der Abend ist zu Ende. Monica Tranströmer-Bladh ist aufgestanden und schiebt schon den Rollstuhl an. Gleich werden sie hinter der Bühne verschwinden. Da erhebt sich das gesamte Publikum des Kölner Schauspielhauses binnen Sekunden von den Plätzen und applaudiert im Stehen. Der stumme Poet schaut noch einmal zurück. Dann gleitet er ins Dunkel.