Weiter scharfe Kritik an Günter Grass
Berlin/Kopenhagen (dpa) - Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass (84) erntet für sein Israel-Gedicht weiter scharfe Kritik aus dem In- und Ausland - auch von Schriftstellerkollegen.
Rolf Hochhuth (81) griff Grass direkt an: „Du bist geblieben, was Du freiwillig geworden bist: der SS-Mann, der das 60 Jahre verschwiegen hat, aber den Bundeskanzler Kohl anpöbelte, weil der Hand in Hand mit einem amerikanischen Präsidenten einen Soldatenfriedhof besuchte, auf dem auch 40 SS-Gefallene liegen“, schrieb er in einem offenen Brief, den „Münchner Merkur“ und „Die Welt“ am Samstag veröffentlichten.
Hochhuth, der das Drama „Der Stellvertreter“ über den Vatikan in der NS-Zeit verfasst hat, meinte: „Ich (...) schäme mich als Deutscher Deiner anmaßenden Albernheit, den Israelis verbieten zu wollen, ein U-Boot deutscher Produktion zu kaufen, das möglicherweise allein ihrem kleinen Staat die letzte Sicherheit geben kann, von einer engst benachbarten Atommacht buchstäblich über Nacht nicht ausgerottet zu werden!“ Der Iran habe schließlich, den Nazis gleich, dem jüdischen Volk mit Ausrottung gedroht.
Der US-Autor Daniel Jonah Goldhagen nannte Grass in der „Welt“ einen „Verfälscher seiner eigenen Nazi-Vergangenheit“. Mit seinem am Mittwoch veröffentlichten Gedicht „Was gesagt werden muss“, in dem Grass vor einem Präventivschlag Israels gegen den Iran und einem Dritten Weltkrieg warnt, kaue Grass, „nicht anders als jene am Stammtisch, die kulturellen Klischees und Vorurteile seiner Zeit“ durch, schrieb Goldhagen in einem Essay für „Die Welt“. Grass' Warnung, Israel könne das iranische Volk mit einem Erstschlag auslöschen, sei absurd. „Grass führt die Perversion - die Verkehrung von Opfern zu Tätern - auf ein neues Niveau.“ Grass hatte in dem Gedicht auch geschrieben, die Atommacht Israel gefährde den Weltfrieden.
Vielmehr habe der Iran wiederholt gedroht, Israel und das israelische Volk auszulöschen - daher stellt sich laut Goldhagen die Frage: „Ist Grass wirklich so ignorant oder ist er ein berechnender Zyniker? Ein Zyniker mit einer solchen Abneigung gegen Israel und seine Bevölkerung, dass er die Welt dazu drängt, Israel zum Abbau seines atomaren Schutzschilds (...) zu zwingen und damit bestenfalls unbekümmert seine Vernichtung in Kauf zu nehmen (...)?“
Auch der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki griff Grass scharf an. Es sei „ein ekelhaftes Gedicht“, das politisch und literarisch wertlos sei, sagte Reich-Ranicki der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“/Sonntag). Der Literaturnobelpreisträger stelle „die Welt auf den Kopf“. „Der Iran will Israel auslöschen, das kündigt der Präsident immer wieder an, und Günter Grass dichtet das Gegenteil. Das ist eine Gemeinheit, so etwas zu publizieren“, betonte Reich-Ranicki, der aus einer jüdischen Familie stammt. Das Gedicht sei ein geplanter Schlag nicht nur gegen Israel, sondern gegen alle Juden.
Die deutsche Friedensbewegung nahm Grass für sein umstrittenes Israel-Gedicht in Schutz. Er habe damit dazu beigetragen, das Bemühen um eine friedliche Lösung im Iran-Konflikt „wieder auf die Tagesordnung zu setzen“. In Form eines Gedichtes nahm der Mitbegründer der Ostermärsche, Andreas Buro, für die Dachorganisation Kooperation für den Frieden am Samstag Stellung zu der Diskussion um das Grass-Gedicht.
Der Iran lobte Grass in höchsten Tonen. „Dieses Gedicht wird zweifellos dazu beitragen, dass auch das schlafende Gewissen des Westens nun aufweckt wird“, schrieb der iranische Vizekultusminister Dschawad Schamghadri dem 84-Jährigen in einem Brief, der von der Nachrichtenagentur Mehr veröffentlicht wurde.