Yasmina Rezas „Alltagsschnipsel“

München (dpa) — Der Streit eskaliert an der Käsetheke im Supermarkt: Robert legt Ziegenkäse und Morbier in den Einkaufswagen. Seine Frau Odile mag aber lieber Schweizer Käse.

Foto: dpa

Robert will sich aber nicht mehr anstellen — die Kundenschlange ist zu lang. Odile ist beleidigt. Robert denkt: „Wenn ich zweimal im passenden Tonfall Entschuldige bitte sagen würde, könnten wir mehr oder weniger normal in den restlichen Tag starten, nur hab ich überhaupt keine Lust, diese Worte auszusprechen […].“ Odile stellt sich aus Trotz selbst an der Theke an. Es wird immer lauter — jetzt fehlt nur noch die Prügelei.

„Alltagsschnipsel“ sind es, die die französische Schriftstellerin, Regisseurin und Schauspielerin Yasmina Reza in ihrem jüngsten Roman „Heureux les heureux“ aneinanderreiht — er ist nun in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Glücklich die Glücklichen“ auf dem Markt. In 21 Szenen erzählen wechselnde Protagonisten von ihrem Leben in Ehen, Beziehungen oder als Einzelgänger. Reza gelingt es gewohnt brillant, die Geschichten hinter den Geschichten zu platzieren. Es geht um Einsamkeit, Verlorenheit und Hoffnung — eingebettet in Alltagsszenen, die urkomisch sind. Die Autorin arbeitet das plötzliche Umschwenken von Situationen heraus, oft auch das Eskalieren. Die Personen, die aus der bürgerlichen Schicht in Paris stammen, geraten immer wieder in Turbulenzen — gehen aber nie unter.

Ernest etwa hat ganz andere Probleme als Käse kaufen. Wenn er mal stirbt, möchte er, dass seine Asche in einen Fluss gestreut wird. Aber seine Frau ist strikt dagegen. „Jeannette hätte gern, dass wir zusammen beerdigt werden, damit die Besucher unsere beiden Namen sehen. Jeannette Blot und ihr liebender Gatte, ordentlich in Stein gemeißelt. So möchte sie für immer die schmachvollen Zeiten unseres Ehelebens auslöschen. Früher, wenn ich die Nacht woanders verbracht hatte, zerknitterte sie meinen Schlafanzug, bevor das Zimmermädchen kam.“

Der Ton des Buchs erinnert manchmal an Rezas berühmtes Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“, das von Regisseur Roman Polanski mit Hollywood-Starbesetzung (Kate Winslet, Christoph Waltz, Jodie Foster und John C. Reilly) verfilmt wurde. Der neue Roman lädt ein, ihn sich auch als Film vorzustellen.

Bei den Protagonisten wird deutlich, dass sie wohl einmal glücklich waren, oder darauf hoffen, es wieder zu werden. Die 54 Jahre alte Reza, die auch mit den Stücken „Kunst“ und „Drei Mal Leben“ Weltruhm erlangte und zu den meistgespielten zeitgenössischen Theaterautoren zählt, sagte kürzlich in einem „Spiegel“-Interview über den neuen Roman: „Alles bewegt sich, alles verändert sich, wie das Wasser eines Sturzbachs. Der Bach bleibt der gleiche, aber das Wasser, aus dem er besteht, ist nie dasselbe. So ist auch das menschliche Leben: zerbrechlich, unbeständig, wechselhaft.“

Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen. Hanser Verlag, München, 176 Seiten, 17,90 €, ISBN 978-3-446-24482-5, E-Book, 13,99 €, ISBN 978-3-446-24573-0